: „Programmatischer, als die SPD je war“
Die eigentliche Botschaft, die vom Bildungsparteitag der CDU in Stuttgart ausgeht, lautet: Siegeszuversicht
STUTTGART taz ■ Hinterher hat sich Angela Merkel über gute Teamarbeit gefreut. „Und dass man sich sachlich auseinander setzen kann. Ich wünschte mir, dass das auch mal im CDU-Präsidium passiert“, sagt die Parteichefin und verschwindet mit dem Rektor der Stuttgarter Werner-Siemens-Schule und ihrer Bildungsexpertin Annette Schavan zum zweiten Frühstück.
Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, hat gerade den Unterrichtsbesuch bei einer Gewerbeschulklasse in Stuttgart hinter sich gebracht. Sie folgt dem Geschehen aufmerksam. Bloß, wie sie auf Teamwork und Konfliktfähigkeit kommt, bleibt ihr Geheimnis. Denn hier redet der Lehrer von vorne auf die Berufsschüler ein, kein Schüler antwortet auf Fragen oder Anregungen. Und das liegt nicht nur am Gestrüpp von Kameras und Mikros, das sich den Teens entgegenstreckt. Hier herrscht Frontalunterricht.
Angela Merkel aber spricht von Teamarbeit. Die Parteichefin schafft sich ihre eigene Wirklichkeit. Angela Merkel hat ihre CDU zu einem Bildungsparteitag nach Stuttgart eingeladen. Die eigentliche Botschaft aber, die Merkel überbringen will, hat mit dem Thema des Parteitags wenig zu tun. Es ist so etwas wie Siegeszuversicht – und der Anspruch auf ihre Kanzlerkandidatur. „Wir sind programmatisch weiter, als die SPD jemals war“, behauptet Merkel. Und fügt an, als wäre es eine natürliche Konsequenz, „dass Schröder dann 2002 keine Chance hat“. Die Programmatik der CDU, zum Beispiel in Sachen Bildung, ist bei Merkel freilich nicht leicht festzumachen: Ihre Fähigkeit, sich aus strategischen Überlegungen heraus Wirklichkeiten zu schaffen, ist viel zu stark ausgeprägt.
Um das Thema Studiengebühren veranstaltet die Partei seit Tagen einen Eiertanz. Annette Schavan, die den Leitantrag für den Parteitag schrieb, ließ zunächst verlauten, das bezahlte Studium werde nicht zum Hauptthema des Parteitags. Dann wollte Merkel, dass von dem Konvent ein klares Bekenntnis zu Gebühren ausgeht. Gestern war von dem entsprechenden Initiativantrag keine Rede mehr – Merkel und der Bundesvorstand zogen ihn zurück. Kaum jemand sprach noch von dem Aufregerthema Studiengebühren. Nur Angela Merkel. Hübsch verpackt lobt sie die Hochschulpolitik Baden-Württembergs, weil die Studierenden hier so flugs ihr Studium abschlössen, und das liege an den Studiengebühren, die sie in Baden-Württemberg ab dem 14. Semester entrichten müssen.
Mit dieser Flexibilität umschifft Merkel jede Schärfe, die sich aus festen Positionen ergeben kann. Sie sagt, für manche in der CDU sicher unbequem, dass die Zeit des Faktenlernens und der klar umrissenen Wissensbestände vorbei sei. Dabei sitzt vor ihr genau derjenige, der einen verbindlichen Wissensbestand geschrieben hat: Dietrich Schwanitz. Eingeladen nach Stuttgart hat ihn: Angela Merkel.
Später, am Nachmittag, verabschiedet der Parteitag den Leitantrag zur Bildungspolitik. Annette Schavan tritt auf. Die baden-württembergische Kultusministerin sagt: „Wir wollen keine isolierte Debatte über Studiengebühren.“ Die Finanzierung des Studiums und des Lebensunterhalts der Studierenden müsse so gestaltet werden, dass Studienwillige nicht vom Studium abgeschreckt werden.
Einen Beschluss zur Einführung von Studiengebühren fasst der Parteitag nicht. Die Bildungskommission der Parteiführung müsse zunächst prüfen, wie ein umfassendes System der Studienfinanzierung mittels Bafög, Bildungssparen, Darlehen und Gebühren aussehen müsste, sagt Angela Merkel. Ferner fordert die Partei ein flächendeckendes Angebot eines achtjährigen gymnasialen Bildungsgangs sowie eine generelle Verkürzung der Ausbildungszeiten. Die CDU bleibe ein überzeugender Partner der Jugend, verspricht Schavan.
CHRISTIAN FÜLLER
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