piwik no script img

„Independents waren verhasst“

The Politics of Dancing: Ein Gespräch mit Daniel Miller, Gründer von Mute, des erfolgreichsten Independent-Labels, über das Überleben trotz Unabhängigkeit, deutsche Einflüsse auf britischen Punk und Demokratie in Plattenfirmen

taz: Wie wurden Sie in den Siebzigern zum Labelgründer?

Daniel Miller: Schon als Kind faszinierte mich das Neue in der Popmusik. Die Erinnerung an dieses Schockgefühl, wenn du etwas völlig Neues hörst, das du nie vorher gehört hast, die habe ich immer behalten und zum Grundprinzip meines Labels gemacht: Völlige Bewusstseinsverschiebung, Aufregung, Popthrill – das habe ich immer gesucht.

Und durch den Millionenerfolg mit Depeche Mode konnte ich mir eben immer wieder aufregende, aber kommerziell schwierige Acts leisten.

Depeche Mode waren und sind das Zugpferd von Mute. Wie kommt es, dass Sie die Band bis heute halten konnten?

Mit einem Independent-Label hat man drei Möglichkeiten: Entweder du lässt eine Band, die so groß wird, irgendwann gehen. Oder du verhandelst mit einem Major und wirst eine Art Sublabel. Oder du wächst mit der Band. Als unsere erste Single mit Depeche Mode so gut lief, kamen sofort die ganzen Majors an und redeten auf die Band ein, dass sie mit uns nicht richtig groß werden könnten. Doch sie blieben weiterhin bei uns. Sie sagten: Okay, lass uns einfach zusammen wachsen. So taten wir es.

Als Sie 1978 ihr Label gründeten, war Punk gerade am Abflauen. Doch dessen Grundprinzip, Grenzen einzureißen, wurde von Gruppen weiterverfolgt, welche die Gitarre durch Elektronik ersetzten. Wie erlebten Sie damals diese neue Aufbruchsstimmung?

Vor 1977/78 war elektronisches Equipment extrem teuer und ziemlich kompliziert. Doch dann kamen die ersten billigen Synthesizer aus Japan, und das war der Beginn von dem, was wir heute Bedroom-Producing nennen würden: Man konnte sich endlich seine eigene Soundwerkstatt leisten.

Es ist nun mal so: Vor der Erfindung der Violine gab es keine Violinenmusik. Die Beziehung von Musik und Technik ist eine sehr enge. In dem Moment, wo die Technik billiger wurde, passierte extrem viel: Cabaret Voltaire, Human League und andere. Auch in Deutschland gab es einen enormen Schub: Palais Schaumburg, Der Plan, Holger Hiller. Es bewegte sich einfach wieder etwas.

Auch an der deutschen New-Wave-Szene waren Sie beteiligt: DAF, Holger Hiller und die Einstürzenden Neubauten wurden erst durch Mute einem breiteren Publikum zugänglich. Welche Impulse empfingen Sie damals aus Deutschland?

Can und andere Düsseldorfer Krautrock-Bands waren doch so etwas wie eine Art Prä-Punk. Und John Lydon von den Sex Pistols war bekanntlich ein so großer Can-Fan, dass er deren Sänger werden wollte – seine Faszination konnte man später besonders bei seiner Band PIL heraushören.

Die Gründung von Independent-Labels war mal auch ein politisches Projekt, gegen die Vorherrschaft der Majors gerichtet. Doch von den einst prägenden Labels wie Rough Trade, Factory oder 4AD hat sich nur Mute zum Mini-Imperium entwickelt. Wie steht es heute ums politische Selbstverständnis?

Als Independent-Label ist Mute immer noch eine Randerscheinung. Man darf nicht vergessen, dass die Independents schon in den Achzigern als absolut konform mit der Thatcher-Ideologie wahrgenommen wurden: Sie waren einfach kleine Unternehmen. Junge Menschen gingen da raus, zogen ihre eigene Sache durch und gaben sich extrem individualistisch. Das wurde von vielen damals so ähnlich aufgenommen wie das, was man heute Neoliberalismus nennt: Es war verhasst. Natürlich aber war die Independent-Idee eigentlich links, und eher anarchistisch motiviert. Mute sehe ich heute immer noch ähnlich; unsere Motivation hat sich trotz der Größe gehalten.

Ein Label wie Rough Trade gab sich als basisdemokratisches Kollektiv, Mute dagegen steht für Daniel Miller. Ginge es dort auch ohne Sie weiter?

Das basisdemokratische Prinzip von Rough Trade konnte schon aus einem ganz einfachen Grund nicht klappen: Wenn einer sagte: Ja, ich will diese Band für uns zeichnen, dann aber erst 40 Leute nach ihrer Meinung fragen musste, kann das nicht funktionieren: Du brauchst in einer Plattenfirma jemanden, der den ganzen Laden mit seinen Ideen und Utopien zusammenhält. Noch treffe ich die Entscheidungen bei Mute. Ich denke aber, das Lebel müsste auch ohne mich keine Existenzängste haben.

INTERVIEW: A. HARTMANN

Heute ab 22 Uhr: Mute-Abend in der Volksbühne Berlin mit u. a. Nick Cave, Add N to X, Goldfrapp, Echoboy, Pole

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen