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Nettigkeiten aus Metall

Krabbenartige Maschinen trommeln, doch die Musik der „Future Communities“ spielt erst in fernster Zukunft: Das Münchner „Festival der Kulturen“ brachte Roboter-Performances und High-Tech-Diskussionen zusammen

Wie ein fremdes schlafendes Tier liegt sie da: Die Landschaft aus halb durchscheinendem Latex oder Papier, in deren Nischen sich Skelette aus Schrott verbergen. Höhlen, Kissenberge, Gedärm oder abgestreifte Schlangenhaut könnte sie darstellen – und als sie mit einem rhythmischen Pochen zum Leben erwacht, wirkt diese massig-zarte Landschaft wie ein Alien des Roboterzeitalters: Aus jeder Öffnung ihres faltenreichen Leibes entlässt sie klappernde, pfeifende, trommelnde Kinder.

Der in San Francisco lebende Chico MacMurtrie hat mit „The Ancestral Path Through The Amorphic Landscape“ die Muffathalle zur Brutstätte einer künftigen Welt umgemodelt, die zugleich uralt anmutet: Diese „Dorfgemeinschaft“ von 70 Robotern könnte zur Zeit der Saurier aus ihren Höhlen gekrochen sein. Vielleicht hat man es nur bislang versäumt, sie zu bemerken?

Zur Halbzeit des diesjährigen Münchner Festivals der Kulturen ist diese Performance der inneren Wahrheit des Veranstaltungsmottos recht nahe gekommen: Risiken und Potenziale von „Future Communities“ sollten künstlerisch vorweggenommen und in Muffathalle und Goethe-Forum diskutiert werden. Mit dem altmodischen Begriff der „community“ wurde ein frisch bestelltes Feld zerpflügt: Auf dessen einer Seite winkte der Roboter als „autonome Person oder verlängerter Arm des Menschen“, auf der anderen war vor lauter Cyberspace kein Horizont in Sicht. Und die ganze Zeit über wurde man das Gefühl nicht los, die ambitionierte Veranstaltung schaue auf ihre Phänomene schlicht aus der falschen Perspektive: Dass die Zukunft noch nicht angebrochen ist, wissen wie so oft die Ingenieure am besten, die auch bei besagtem Roboter-Auflauf zuhauf hinter dem Schaltpult stehen. Weder die kleinen krabbenartigen Maschinen mit der Pumpe als Herz noch die wabbelige Schaumstofffigur oder der brummelnde gläserne Mensch taugen als Helden und Angstobjekte.

Mit ihren Kollegen zusammen machen sie tolle Musik – das schon. Darauf schließlich sind sie programmiert. „Du bist ja ein Netter“, raunte eine Frau einem neben ihr loshoppelnden kleinen Apparat zu. Wie es scheint, ist der Mensch seinerseits darauf programmiert, in allem Beweglichen den Schoßhund zu sehen oder die zähnefletschende Bestie. Bloß nicht die auf ganz andere Weise gewöhnliche Gestalt vor seinen Augen.

Deren Wesen aber hatte der Robotiker Gerhard Schweitzer Tage zuvor genau umrissen. Sein Prototyp: der automatische Postbote in Schweizers Züricher Institutsgebäude. Er bringt Briefe in die richtigen Räume und kann dabei sogar dem Papierkorb ausweichen. Damit ist er für seine Gattung schon hoch entwickelt. Dass er dennoch aussieht wie ein wandelnder Briefkasten, hat schlicht den Grund, dass ein humanoider Roboter nicht einmal fähig wäre, sein eigenes Gewicht zu tragen. Adieu, du Traum von einer Gesellschaft menschenähnlicher Maschinenwesen!

Diese Gesellschaft hält auch der Essener Philosophie-Professor Dieter Sturma nur für möglich, falls das Unmögliche geschieht: Wenn Roboter je menschliche Eigenschaften wie einen Sinn für die Zeit oder Selbstachtung entwickeln könnten – ja dann würde selbst Sturma sie „per Handschlag begrüßen“. Bis dahin aber bleiben sie Werkzeuge – nichts weiter. Und allenfalls die Kunst vermag aus ihnen mehr zu machen.

Statt nun das Internet ebenso nüchtern zu betrachten, siegten bei den Panels zu diesem Thema die zu großen Worte. Eine „Ferngesellschaft“ zum Beispiel diagnostizierte Peter Weibel an eben jenem Abend, als die Webcam streikte und alle Ferngebliebenen zu Hause vor schwarzen Bildschirmen alleine blieben. Technik ist Glückssache – und wer sich auf sie zur Vergesellschaftung verlässt, der fühlt sich schnell verlassen. Klar überwindet das World Wide Web per definitionem lokale und kulturelle Grenzen: Sinisa Rogić und Katarina Zivanović berichteten eindrücklich, dass es als Informationskanal überlebenswichtig werden kann, wenn, wie im Milošević-Jugoslawien, alle anderen Quellen zensiert werden.

So erwies sich die unbedingte Freiheit des Web auf den Münchner „Community“-Tagen als höchstes Gut. Und auch die nicht enden wollenden Präsentationen künstlerischer und politischer Internet-Plattformen bestätigten wieder und wieder nur eins: dass sich das noch junge Medium jeder Message gegenüber geduldig verhält. Was es optisch und akustisch zu leisten vermag? Da ähnelt es noch einem fremden, schlafenden Tier.

SABINE LEUCHT

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