Füßeln unterm Kabinettstisch

Der neue Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin bringt Bewegung in die Regierung

Er sollte hautnah spüren, was es heißt, Mitglied einer Regierung zu sein, die vom Liebesvirus gepackt ist

Demonstrativ ließ er sich im Spiegel dieser Woche mit seiner Freundin Nathalie ablichten, doch es half nichts. Bei seinem Antrittsbesuch in der Berliner Kabinettsrunde konnte der designierte Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin hautnah spüren, was es heißt, Mitglied einer Regierung zu sein, die seit Monaten von einem „Liebes-Virus“ (Bunte) gepackt ist. Schon länger konstatieren Beobachter dem Kabinett Schröder eine „akute Formschwäche“ (Mainhardt Graf Nayhauß). Anders ausgedrückt: Die milden Temperaturen des diesjährigen Herbstes haben bei den Ministern „die Frühlingsgefühle nur so sprießen lassen“ (Gala). Tatsache ist, dass ausgerechnet der bislang eher unscheinbare Rudolf Scharping den Reigen mit seiner Gräfin Pilati-Borggreve eröffnete, was in den folgenden Wochen kaum ein Regierungsmitglied ruhen ließ. Und mitten in dieses knisternde Gefühlsgewitter geriet am vergangenen Donnerstag der „Monaco-Julian“ (taz).

Die Morgenkonferenz im Kanzleramt konnte nur unter Mühen über die Runden gebracht werden, kam es doch zu turbulenten Szenen, als der lang aufgeschossene Schönling probeweise auf seinem Amtsstuhl Platz nahm. Mehrmals musste der Bundeskanzler die Glocke einsetzen, um eine Ruhe wiederherzustellen. So wurde die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul dabei beobachtet, wie sie dem 46-jährigen Nida-Rümelin kleine gefaltete Zettel zuwarf. Inhalt der Tischpost: „Um fünf am Kanal“. Ein ungelenk gezeichnetes, von einem soziroten Pfeil durchbohrtes Herzilein rundete die Liebesbotschaft ab.

Selbst die neuerdings dem Komponisten Schubert immer ähnlicher werdende Justizministerin Herta Däubler-Gmelin entwickelte romantische Gefühle. Der Münchner Stenz entlockte der sonst nicht leicht entflammbaren Schwäbin ein zärtliches Lächeln und den linkischen Zwischenruf: „Ei fei scho.“ Was immer das auch bedeuten mag.

Auf die Spitze allerdings trieb es die Bildungsministerin Edelgard Bulmahn. Sie streifte einen ihrer Pumps vom Fuß und versuchte, über die Beine des zwischen sie und Nida-Rümelin platzierten Innenministers Otto Schily hinweg die Waden des Neuen zu erreichen. Füßeln unterm Kabinettstisch. Da wachte selbst der ansonsten gegen Gefühle jeder Art vollkommen immune Anthroposoph Schily auf und beschwerte sich ob der bulmahnschen Strumpfattacke.

Kaum besser erging es dem feinnervigen Nida-Rümelin auf der rechten Seite. Eine Erholungspause dringend benötigend, beugte er sich zum Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke herüber, der jedoch angesichts des erstmaligen Interesses an seiner Person plötzlich felsenfest davon überzeugt war, dass der feurige Südländer zu seiner Linken ihn in allen Herzensangelegenheiten ganz und gar verstehe und fortan mit ihm durch Reim und Dünn gehen wolle: „Oldenburger Butter, das hilft dir auf die Mutter“, prustete Funke ihm fast verliebt ins jetzt schon sehr wehe Ohr.

„Aaaaahhrg“ – ein kehliger Schrei am unteren Ende des Tischs ließ die Köpfe herumfahren. Wollte die wie üblich kaum beachtete Gesundheitsministerin Andrea Fischer die Aufmerksamkeit des Kultur-Casanovas auf sich lenken? Erst jetzt bemerkten die Kollegen, dass ein silberfarbener Brieföffner in ihrem Oberarm steckte, der zitternd auf die benachbarte Familienministerin Christine Bergmann wies. „Du kriegst ihn nicht“, zischte Bergmann.

In dem Moment wusste der philosophisch geschulte Kulturmann, dass es nur einen Ausweg für ihn gab: „Die Liebe“, hob er an, und alle Augen schnellten in seine Richtung, „die Liebe hat den Zweck, zur Heirat zu führen, Kinder zu haben und ein bürgerlich-normales Leben aufzubauen. Das sind die Zwecke der Liebe.“ Triumphierend blickte er ins Rund. Der Bundeskanzler hing an seinen Lippen und umklammerte die Glocke, die er vorsorglich am Holzstiel ergriffen hatte. Die anderen Kabinettsmitglieder jedoch erblassten. Der Familienministerin war jedes Leben aus den Augen entwichen. Die Bildungsministerin pulte sich eine Spur zu hartnäckig das Schwarze unter den Nägeln hervor. „Meine schöne Liebe, ich liebe Dich so sehr, dass es schmerzt, aber der Schmerz ist süß und wunderbar“, versuchte der fromme Nida-Rümelin das Ruder noch einmal herumzureißen, aber nicht nur der Landwirtschaftsminister sägte längst lauthals am deutschen Traumwald. MICHAEL RINGEL