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Werbung im Wolkenkratzerformat

■ Wenn die Wirklichkeit die Science Fiction einholt: Bei der Konferenz „profile intermedia“ sollten die Grenzen zwischen angewandter und bildender Kunst verwischt werden. Dazu erklang jede Menge konkrete Zukunftsmusik

Die Bremen-Werbung will bald wieder hoch hinaus. Nach dem Space-Lab, den Mittelstufen der Ariane-Raketen und dem Forschungslabor Columbus, das die Astrium (früher: Dasa) zurzeit baut, werden möglicherweise schon bald weitere Produkte aus der Hansestadt ins All geschickt. Das „Institut für integriertes Design“ (i/i/d) des Bremer Hochschullehrers Detlef Rahe tüftelt gerade an einer Art Visor, mit dem die AstronautInnen künftig einen besseren Durchblick haben sollen. Rahes Stück, mit dem die Wirklichkeit mal wieder die Science Fiction einholt, ist eine Mischung aus Brille, Monitor, Kamera und Datenbank und soll AstronautInnen die Arbeit bei Außenarbeiten an der internationalen Raumstation ISS sowie die Tätigkeiten an Bord erleichtern.

Keineswegs abgehoben, sondern eher nüchtern stellte Rahe sein Gerät jetzt bei der am Sonntagabend zu Ende gegangenen Design-Konferenz „profile intermedia“ (www.profile-intermedia.de) in den Bremer Messehallen vor. Etwa 1.300 Messe- und KonferenzbesucherInnen lauschten diesem Stück konkreter Zukunftsmusik. Und sie erlebten, wie ein Bremer Büro den Spagat von den irdischen Niederungen ins All und zurück schafft. Denn das Spektrum von Rahes i/i/d (www.iidbremen.de) und sein zusammen mit seiner Frau Ulrike unterhaltenes Studio „rahe + rahe“ (www.rahedesign.de) reicht von der Inneneinrichtung von Kneipen über die neuartige Konstruktion eines Hafenschleppers bis hin zum utopisch anmutenden Gerät auf dem Astronautenkopf.

Fusion heißt so etwas im gerade modischen Fachjargon. Unter genau diesem Motto stand die „profile intermedia“, die in diesem Jahr zum dritten Mal stattfand und erneut von jungen StudentInnen um den Konferenzdirektor und -moderator Peter Rea organisiert wurde. Doch die VeranstalterInnen wollten mit der Fusion mehr. Während Rahe mit seinem Institut ein breites Spektrum mit den Schwerpunkten Produkt- und Interior-Design vertritt, sollte bei dieser internationalen Konferenz der „Crossover von Design, Fotografie, Film, Video, Kunst, Musik und Technologie“ ausgeleuchtet werden. Der Anspruch: Die Verwischung bis Abschaffung der herkömmlichen Grenzen zwischen angewandter und bildender Kunst.

Auch im dritten Jahr führt der in London lebende und neben Bremen auch in Beirut lehrende Peter Rea durch das kunterbunte Programm einer nach Veranstalterangaben ausverkauften Konferenz. Die 1.300 BesucherInnen, von denen 1.100 bis zu 750 Mark bezahlt haben und die zu rund 75 Prozent nicht aus Bremen kommen, erleben mitreißende bis ärgerliche Präsentationen aus allen Bereichen. Allerdings liegt der Schwerpunkt auf Graphikdesign.

Für den amüsant und kenntnisreich plaudernden und bei keiner Unterbrechung des schnell durcheinander gewirbelten Programms um eine Episode verlegenen Peter Rea ist Fusion Alltag. Im kleinen Garten seines Londoner Hauses, erzählt er, hat sich gerade eine Fuchsfamilie angesiedelt. Einer seiner Beiruter Studenten hat dies fotografiert und das Bild vom Libanon nach Bremen gemailt, damit es ins Programmheft gedruckt werden konnte. Das ist für Rea eine Fusion von Kultur und Natur sowie von Kulturen mit Hilfe neuer technischer Möglichkeiten.

Solche in den Alltag greifenden Veränderungen spiegeln sich aber in den Vorträgen der Konferenz nur sehr selten wieder. Statt einer Fusion der gestalterischen Disziplinen sieht es eher so aus, als suchten sich hier in erster Linie Graphik-DesignerInnen Anregungen für neue Ideen. Die aber greifen zum Teil erheblich ins Stadtbild ein.

Henri Ritzen vom renommierten niederländischen Studio Dumbar (www.studiodumbar.nl) präsentiert da eins der neuen Wahrzeichen Rotterdams. Eine Fassade des von Renzo Piano gebauten Hochhauses der niederländischen Telekom hat das Studio Dumbar mit LED-Dioden wie bei einer Termintafel im Flughafen versehen. Buchstäblich kilometerweit können sich die RotterdamerInnen jetzt auf einer im Vergleich zum Bremer Siemens-Hochhaus doppelt bis dreimal so großen Fassadenfläche hübsche Trickfilmchen und vor allem Werbeclips der Telekom anschauen (oder als abgelenkte AutofahrerInnen Unfälle bauen). Eine schöne neue Werbewelt ist das, und Ritzen empfiehlt den angehenden DesignerInnen im recht jungen Bremer Publikum, sich von Anfang an in die Bauplanung einzumischen und sie nicht den „eitlen ArchitektInnen“ zu überlassen. „Nehmt euch die Freiheit, lasst euch nicht sagen: Ihr seid nur kleine Graphikdesigner.“ Allerdings macht auch das Studio um Gert Dumbar viele schöne kleine Sachen.

Vorbei die Zeiten, dass ein politisches Plakat noch solches Aufsehen wie das Hochhaus erregte. Mitten im „deutschen Herbst“ von 1977, als der RAF-Terror und die RAF-Hysterie den Höhepunkt erreichten, wirkte die damals junge Studentin Anna Berkenbusch an einer Plakataktion mit, die naiv und direkt auf andere Formen des Terrors aufmerksam machte. Das Plakat verschwand schnell zu Gunsten einer Spülmittelreklame. Die heute 45-jährige Berkenbusch, die in Essen lehrt und in Berlin ein Designbüro leitet, ist aber politisch engagiert geblieben. In einer Zumutung von Interview appelliert die so faszinierende wie meinungsfreudige Gestalterin: „Wir haben nicht den Job, den Status quo zu beschreiben.“

Es ist bemerkenswert oft von Inhalt, gesellschaftlicher Verantwortung und politischer Bedeutung des Design die Rede. Oder es wird in Fragen darauf angesprochen. Der Mitgründer der Hochschule „k3“ (www.skiften.com) in Malmö serviert das „Manifest für ein digitales Bauhaus“ und will in neuer Form jene Dessauer Schule wieder aufleben lassen, die in den 20er Jahren durch disziplinübergreifendes Arbeiten und – nun ja – einem an Bedürfnissen der Allgemeinheit ausgerichteten Anspruch Gestaltungsgeschichte schrieb.

Die Profile sind ein Gemischtwarenladen von Positionen und Widersprüchen. Wolfgang Weingart, der fast 60-jährige Guru der Schriftsgestaltung oder Schriftkunst, wettert in einem elegisch wirkenden Abgesang gegen den Verlust der Handarbeit durch das Gestalten am Computer und provoziert damit Gegenreden. Der in Berlin lebende Pianist Jeffrey Burns serviert seine Fusion aus Klavierkonzerten und Lichtprojektionen (www.piano-of-lights.com). Gert Dumbar selbst schwärmt für alte französische Motorräder und ruft dazu auf, nicht jede Mode mitzumachen. Und der extrem viel beschäftigte John Warwicker von der Londoner Agentur Tomato (www.tomato.co.uk) produziert nicht nur Filme für Gruppen wie Underworld oder Clips für Sony, sondern baut neuerdings auch Häuser mit: Dem Museum für australische Kunst in Melbourne beschert Tomato eine Wand aus Prismenglas, die das Sonnenlicht im Gebäudeinneren in die Regenbogenfarben zerlegt.

Da hätten wir doch mal ein freundliches Motto für die Konferenz „profile intermedia“ (die allerdings durch eine ziemlich lieblos gestaltete Ausstellung mit bildender Kunst sowie mit Arbeitsproben von ReferentInnen ergänzt war). Nicht nur erfreut, sondern begeistert hat die 28-jährige Britta Mischer mit ihrer Diplomarbeit „Die Jüngeren“: Sie hat fast 30 Jugendliche und junge Erwachsene aus verschiedenen Stilen und Jugendkulturen interviewt und verarbeitet das zu einem gewiss spektakulären Buch, das im April erscheinen soll.

Diese Mischung aus Graphikdesign und qualitativer Sozialforschung hätte einen sozialwissenschaftlichen Kongress genauso erfrischen können wie die „profile intermedia“. Sie gehörte nicht und zugleich doch dahin. Trotz der Fülle von Ideen und Eindrücken krankte die Konferenz aber daran, dass eine Präsentation auf die andere folgte und niemand für Fusionen sorgte. Die Konferenz-Idee ist auch im dritten Jahr gut. In der Umsetzung, zu der auch mehrere äußerst schwache Präsentationen gehörten, droht die Veranstaltung aber zu einer bloß groß dimensionierten Ringvorlesung für Graphik-StudentInnen zu werden. Peter Reas Vergleiche mit der documenta oder dem Edinburgh-Festival traben da ziemlich hoch. Christoph Köster

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