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Inflation gebremst, Wirtschaft ruiniert

Ende der Geldentwertung in der Türkei führt zu Bankencrash und Börsenpanik. Ein IWF-Hilfsprogramm wird durch das nächste abgelöst

Die Banken verdienen nicht mehr an der Inflation, die Börse knickt ein, das Kapital verlässt das Land

von JÜRGEN GOTTSCHLICH

Auf dem Computer des türkischen Ministerpräsident Bülent Ecevit flimmerte gestern früh eine außerplanmäßige Mitteilung: „Wir protestieren gegen die Finanzpolitik der türkischen Regierung.“ Die Hacker waren Kinder von Staatsangestellten. Die nämlich protestieren dagegen, dass ihre nächste Lohnerhöhung um 10 Prozent weit unter der Inflationsrate von 40 bis 50 Prozent liegen soll.

Doch obwohl die Einkommen im unteren Drittel der Pyramide drastisch zusammengestrichen werden, droht die Regierung ihren Kampf gegen die Inflation zu verlieren. Vor einem Jahr hatte Ecevit als Voraussetzung für einen neuen Beistandskredit von 4 Millarden Dollar einem drastischen Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zugestimmt, mit dem das Land für die EU-Mitgliedschaft fit gemacht werden sollte. Neben dem Antiinflationsprogramm, mit dem eine fast 20-jährige Inflation von etwa 100 Prozent beendet werden soll (Ziel für 2000: nur noch 25 Prozent), ging es um den bekannten IWF-Mix: Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung der Finanzmärkte für Auslandsinvestoren.

Paradoxerweise drohen nun gerade erste Erfolge das gesamte Programm abstürzen zu lassen. Die sinkende Inflation hat etliche Banken ins Trudeln gebracht. In der Türkei gibt es zahlreiche kleinen Privatbanken, die an der Inflation gut verdient haben, weil der Staat auf Anleihen hohe Zinsen zahlte. Jetzt wird das Geschäft schwieriger, und die faulen Zähne beginnen zu wackeln. Dazu kommt, dass der IWF eine verschärfte Bankenaufsicht durchgesetzt hat, die nun einen Korruptionsfall nach dem anderen aufdeckt.

Ein Beispiel dafür ist der Skandal um Murat Demirel und seine EGE-Bank. Demirel ist der Neffe von Süleyman Demirel, bis Mai dieses Jahres Staatspräsident. Mit Verweis auf seinen Onkel lieh Murat sich Geld, kaufte sich eine Bank und plünderte sie systematisch aus: Murats andere Unternehmungen bekamen gigantische zinslose Kredite, die dann auf Schweizer Nummernkonten landeten. Als der Onkel in den Ruhestand versetzt wurde, flog Murat auf. Nun sitzt er im Knast.

Murat ist kein Einzelfall. Insgesamt wurden in den letzten Monaten zehn Banken unter Staatskuratel gestellt. Die Verluste kamen ans Tageslicht und lösten eine Abwährtsspirale aus, die zu panikartigen Verkäufen an der Börse führte. Innerhalb von nur zwei Wochen verlor die Istanbuler Börse 40 Prozent ihres Werts. Ausländische Investoren zogen rund 6 Milliarden Dollar ab, was bei etlichen Banken zu Liquiditätsschwierigkeiten führte und die Zinsen für kurzfristige Überbrückungskredite auf stolze 1.000 Prozent hochtrieb.

Jetzt muss der Internationale Währungsfonds erneut als Nothelfer ran. Um die Panik einzudämmen, verkündete IWF-Chef Köhler, der Währungsfonds werde kurzfristig neues Geld in die Türkei pumpen. In Absprache mit dem IWF kauft die Zentralbank massiv türkische Lira, um den Kurs wieder zu stabilisieren. Zentralbankchef Gazi Ercel verkündete, das Land verfüge über rund 18 Milliarden an Devisenreserven und sei deshalb in der Lage, spekulative Attacken abzuwehren. Sonntagabend flogen zwei IWF-Teams aus Washington nach Ankara, unter ihnen der Europa-Chef Michael Deppler. Innerhalb von zehn Tagen soll nun ein zusätzliches Rettungspaket für die Türkei zusammengestellt werden, über das der Währungsfonds während einer Sitzung am 21. Dezember entscheiden will.

Für die türkische Regierung steht ihr gesamtes Modernisierungsprogramm auf dem Spiel, denn ebenfalls in dieser Woche entscheidet sich, ob die Beitrittspartnerschaft mit der EU unterzeichnet wird. Erst eine Annäherung an die EU wird dazu führen, dass ausländische Investoren zurückkommen.

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