: Warum so national?
Kleine Anfrage der Schriftstellerin Silvia Szymanski an den Verleger Klaus Wagenbach anlässlich seines in der taz erschienenen Essays zur Verteidigung der deutschen Literatur
War Wagenbach ironisch? Die Idee kam mir nicht, als ich am 15. November auf der Bildungsseite der taz seinen Essay „Wir brauchen deutsche Literatur“ las; ich war verstört. Ich hatte doch ein Bild davon, wofür der Wagenbach-Verlag steht: eine kunstsinnige Auswahl internationaler Literatur.
Es fing fraglich, aber diskutabel an. Wagenbach wendet sich in seinem Essay zu Beginn gegen den von den 68ern geprägten „kunstfeindlichen“ Deutschunterricht der 70er-/80er-Jahre, der, den traditionellen Kanon verwerfend, sich nur noch auf „politisch korrekte Verständigungsprosa“ konzentrierte. So komme es, dass die Jugendlichen heute nicht mehr gut sprechen könnten (nur noch „totalechtvollgutwa“), Kleist, Kafka, Goethe nicht mehr lesen wollten und auch nicht Hölderlin, Grimmelshausen und Heine, diese – und da wurde mir seltsam – „ausgezeichneten Wanderführer in unserer nationalen Seele“. Wagenbach bedauert, dass die Jugend ein so „interessantes Stück vaterländischen Bodens nicht kennen lernen möchte“. Sonst verstünden sie besser Phänomene „unseres Nationalcharakters“ wie die Maschendrahtzaunfrau (Michael Kohlhaas), nach Lektüre des „Hyperion“ würden sie „weniger hochmütig gegenüber unseren nationalen Defekten“ sein, nach der „Marquise von O.“ „weniger überrascht über die Taktiken deutscher Frauenseelen“. „Wir brauche die deutsche Literatur“, endet Wagenbach, „um Rat, Heiterkeit und Erkenntnis zu finden in Sachen Schönheit und Nationalcharakter“.
Was war in Wagenbach gefahren? Warum stützte er sich so nachdrücklich auf das Nationale? Es schien, dass hier die genannten Schriftsteller zur Errichtung und Ausstattung eines nationalen Wir verwendet wurden. Dass dafür geworben wurde, ihre Bücher um des vaterländischen Bodens willen zu lesen.
Wie konnte Wagenbach sich so und in solchen Worten äußern nach dem, was im Namen von „Nationalcharakter“ und „deutscher Seele“ geschehen war? Die Generation meines Vaters musste deutsche Geschichte in der Volksschule auswendig lernen aus (täuschend?) ähnlich klingenden Gründen wie den Wagenbach’schen Argumenten.
Ich fühle mich sehr unwohl in dieser Begriffswelt, „deutsche Frauenseele“, „Nation“, „vaterländischer Boden“. Für mich sind das unsympathische Konstrukte; aufgeblasen aus dem, was in die Vorstellung passt, die man promoten will, Unpassendes beiseite lassend.
Ich mag einige deutschsprachige Schriftsteller und viele, die in anderen Ländern leben/ lebten/leben mussten. Es ist mir nie aufgegangen, dass Letztere ja lauter Ausländer sind, die mir eigentlich gar keine Erkenntnisse über meinen Nationalcharakter und dessen Schönheit vermitteln können.
Nun sagen mir einige Kollegen, meine Aufregung sei ganz unnötig, denn Wagenbachs Nationalworte seien eindeutig ironisch gemeint. Das sehe man an ihrem massierten Auftreten im Text, dem Zusammenhang, an den Autoren, auf die sich Wagenbach bezieht. Ein anderer sagt, Wagenbach wolle nur ungeschickt den Leuten eine in Vergessenheit geratende Literatur ans Herz legen. Ein Kollege gibt mir zu bedenken, nicht der Nationalgedanke, sondern nur sein Auswuchs, der nationalistische Wahn, sei das Schlimme. Die Kategorie Nation sei einmal notwendig gewachsen, wie sie wohl notwendig auch wieder verschwinden werde. Er fragt ironisch, ob ich neben „Vaterland“ und „Nation“ nicht gleich auch das Wort „deutsch“ noch ächten wolle? Es kommt darauf an, wie ein Wort gemeint ist.
Im nüchtern-sachlichen Sinne finde ich das Wort „deutsch“ zum Beispiel brauchbar. Selbst bei dem Begriff „Nationalmannschaft“ bin ich bisher nur aus unpolitischen Gründen zusammengezuckt. Doch Wörter können umkippen.
Ich möchte Wagenbach nicht Unrecht tun. Im Augenblick kann man nur mehr oder weniger heftig vermuten, was Wagenbach mit seinen Wörtern meint. Einen Kollegen erinnert diese Debatte an das Rätseln um die Walser-Rede und ums Merz’sche Wort. Wie diese zwei habe auch Wagenbach vielleicht einfach „nur den völlig falschen Ton getroffen“. Ich wüsste gern, ob das so ist und wie es kommt.
Silvia Szymanski ist Schriftstellerin, kürzlich erschien ihr Roman „Agnes Sobierajski“. Im Forum des Internet-Feuilletons Perlentaucher debattierte sie über Klaus Wagenbach, nachlesbar bei www.perlentaucher.de
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