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Einheit ohne Einigkeit

■ Vier Wilhelmsburger Klubs schließen sich zusammen – auch in Kiel grassiert das Fusionsfieber

Einigkeit macht stark. Unter diesem Motto rückt der Wilhelmburger Fußball zusammen. Die Vereine WSV 93, Viktoria Wilhelmsburg, Vorwärts Ost und TV Jahn werden sich nach dem Votum ihrer Mitglieder zu einem Großverein zusammenschließen. Der ESV Einigkeit wird dem neu zu gründenden SV Wilhelmsburg nicht angehören, weil vier Stimmen für die notwendige Satzungsänderung fehlten. Bei RW Wilhelmsburg und den Nicht-Fußballern vom Turnclub Wilhelmsburg sank das anfängliche Fusionsfieber auf den Nullpunkt, als Nägel mit Köpfen gemacht werden sollten.

„Mit den vier Vereinen sind wir absolut fusionsfähig“, lässt WSV 93-Vorsitzender Michael Müller keinen Zweifel an der Verwirklichung des Wilhelmsburger Vorhabens aufkommen. Die beteiligten Vereine hatten auf ihren außerordentlichen Mitgliederversammlungen (MV) Anfang November die rechtlichen Voraussetzungen für den Zusammenschluss geschaffen. Die endgültige Verschmelzung der Klubs soll im Februar oder März 2001 über die Bühne gehen. Dann wird jeder Verein einzeln entscheiden, ob er an der Fusion teilnehmen möchte oder nicht.

Für den sportlichen Aufgalopp der seit Jahren heftig diskutierten Verschmelzung sorgten die Fußballer. Eine von WSV 93-Trainer Karl-Heinz Nowotny betreute Wilhelmsburger Auswahl trennte sich wenige Tage nach den MVs vor 185 zahlenden Zuschauern an der Dratelnstraße von einer Harburger Auswahl mit 1:1. „Von dieser Resonanz bin ich absolut begeistert“, frohlockte der Kartenabreißer und 2. Vorsitzende des TV Jahn Rugier Perleberg. Als die ersten Zuschauer anfingen zu motzen, kam der Auftritt von Martin Timmler. Der Ki-cker vom WSV 93 erzielte mit dem 1:0 für den „SV Wilhelmsburg i. A.“ ein historisches Tor für den Wilhelmburger Fußball.

Pikant ist allerdings, dass das Spiel auf dem Platz des ESV Einigkeit stattfand. Denn in den bisherigen Planungen war der Rasenplatz an der Dratelnstraße als Spielort für den neuen SV angedacht. „Jetzt müssen wir neue Überlegungen anstrengen“, fordert Michael Müller und deutet Entschlussfreudigkeit an. „Wir werden ein neues Konzept noch in diesem Jahr vorlegen.“ Schuld an dieser Entwicklung waren die Mitglieder der ESV. Die Eisenbahner hatten mit nur 66 zu 26 Stimmen für den Zusammenschluss votiert. Am Ende fehlten vier Stimmen zur Satzungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit. „Die war in grauer Vorzeit in die Statuten aufgenommen worden“, ärgert sich Jan Steinhäuser, ESV-Fusionsdelegierter der Abteilung Fußball, über die zu hohe formale Hürde im Paragraphen-Dschungel des 1908 gegründeten Klubs. Aus Frust über die Abstimmungsniederlage trat der Vorstand umgehend zurück.

Dem zu gründenden Großverein werden zunächst knapp 3000 Mitglieder angehören. Mit 60 bis 70 Prozent Anteil am Gesamtverein steht der Abteilung Fußball die Rolle des Wortführers auf das Trikot geschrieben. Wohl auch ein Grund für den Rückzug der Nicht-Fußballer vom TC Wilhelmsburg aus den Fusionsgesprächen. Der Turnklub werde aber „kooperatives Mitglied“ im neuen Verein, so Fusions-Sprecher Müller. „Langfris-tig wird der TC wohl im neuen Verein aufgehen.“

Beim RW Wilhelmsburg ist ein langsames Einsickern in den SV dagegen offensichtlich nicht geplant. „Leider herrscht dort zurzeit ein starkes Desinteresse“, sagt Müller. Der Verein habe keine außerordentliche MV anberaumt und war in den letzten Gesprächen auf Vorstandsebene nicht mehr vertreten. Müller zerknirscht: „Eine Begründung wurde uns nicht geliefert.“

Karl-Heinz Balzer, Zaungast beim Vereinigungsspiel und Ex-Ligaobmann beim WSV 93 bringt die Stimmung auf den Punkt: „Seit 1968 kämpfen wird um die Fusion. Heute stehen wir dicht davor. Es ist ärgerlich, dass kleine Vereine wie Einigkeit alles blockieren.“ Den Fußballer Balzer treibt die Vision von einem schlagkräftigen Team um: „Mittelfristiges Ziel: die Verbandsliga.“

Auch in Kiel setzt man auf Sy-nergieeffekte durch Fusion. Die maßgeblichen Entscheidungsträger und Sponsoren der drei ortsansässigen Oberligaclubs Holstein Kiel, TSV Altenholz und TuS Felde bündeln von sofort an finanziell wie sportlich ihre Kräfte. Am 1. Juli 2001 mündet das neue Zusammenspiel in einer siebenköpfigen Holstein-GmbH. Mit einem Etat in Höhe von rund drei Millionen Mark soll der Wiederaufstieg Holstein Kiels in die Regionalliga erreicht werden. Die Vereinigung der Kieler Fußballvereine hat auch eine erste personelle Konsequenz: Beim TSV Altenholz trat Trainer Bernd Brexendorf von seinem Amt zurück. Volker Stahl

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