piwik no script img

The Places I Remember

Welthits im Schlafzimmer: Die „Magical Mystery Tour“ ist die populärste Busrundfahrt Britanniensaus Liverpool RALF SOTSCHECK

Fast hätte er eine Filmrolle als jugendlicher John Lennon bekommen. „Der Regisseur meinte aber, ich sei zu alt“, sagt Neil Brannan. Er ist 26, sieht aber jünger aus. So durfte er Pete Shotton von den Quarry Men spielen, Lennons erster Band. „Shotton ist im Film auch 17, genau wie Lennon“, sagt Brannan. „Da hätten sie mir auch die Hauptrolle geben können.“ Der Film über Lennons Leben, „In his life“, hat heute, am 20. Todestag, im Odeon in Liverpool Premiere.

Als die Filmarbeiten beendet waren, hat Brannan den echten Pete Shotton kennen gelernt und ihm das Foto von den Quarry Men gezeigt, das während der Dreharbeiten aufgenommen wurde. „Pete konnte es gar nicht fassen“, sagt Brannan. „Er kramte sein eigenes Foto von damals hervor, beide waren nahezu identisch. Wir hatten alle dieselbe Körperhaltung, dieselben Ringe unter den Augen, denselben Gesichtsausdruck.“ Zum Film ist Brannan gekommen, weil beim Beatles-Festival der Strom ausgefallen war und er die Menge als Ansager unterhalten musste, bis der Schaden repariert war. Das machte er so gut, dass der Produktionsleiter ihn zum Probedreh einlud. Nun will er Schauspieler werden.

Noch muss er aber hinter dem Tresen im Cavern Club arbeiten. Es ist wohl der berühmteste Rock-Club der Welt. Dort sind die Beatles am 21. Februar 1961 zum ersten Mal aufgetreten, später spielten dort die besten Bands aus Britannien und den USA. Im Hauseingang lehnt lässig ein bronzener John Lennon. Die Statue musste kurz nach ihrer Enthüllung eine Kopftransplantation über sich ergehen lassen, weil das Original selbst mit Fantasie kaum Ähnlichkeit mit Lennon hatte. Der Cavern Club hat mit dem Etablissement vergangener Zeiten allerdings nicht mehr allzu viel zu tun. Die Konkursverwaltung schloss den Club zum ersten Mal 1966, fünf Monate später wurde er wieder eröffnet, doch 1973 kam das endgültige Aus. Einen Tag nachdem der Cavern Club dichtgemacht hatte, kamen die Planierraupen und rissen das Gebäude ab. Jahrelang wurde die Fläche als Parkplatz benutzt, bis im Frühjahr 1984 eine Einkaufspassage entstand. Der neue Cavern Club ist im Keller des Nachbarhauses untergebracht.

Es ist auch der Endpunkt der Magical Mystery Tour, einer Busrundfahrt auf den Spuren der Beatles, die mehr Besucher anzieht als jede andere Sightseeing Tour in Britannien. Die Tour beginnt am Beatles-Museum unten am Albert Dock, wo die Stadtverwaltung versucht hat, ein wenig Glanz in die heruntergekommene Stadt zu bringen, indem sie die ausgedienten Lagerschuppen modernisiert und an exklusive Geschäfte und Restaurants vermietet hat.

Liverpool und Umgebung gehören zu den ärmsten Gegenden der Europäischen Union. Die Stadt hat nicht nur die höchste Arbeitslosigkeit in England, die Bewohner zahlen auch die höchste Gemeindesteuer, fast 1.200 Pfund im Jahr. Liverpool hatte nie eine nennenswerte Industrie, abgesehen vom Schiffbau, und der Hafen bestimmte das Leben in der Stadt. Es war immer eine Stadt der Einwanderer, Mitte des 19. Jahrhunderts kamen 300.000 Iren, die vor der Hungersnot auf der Grünen Insel flohen, ab 1870 siedelten sich Chinesen an und gründeten die älteste Chinatown Europas, um die Jahrhundertwende kamen Juden aus Osteuropa. Der Niedergang der Schifffahrt löste auch Liverpools Niedergang aus. Liverpool hat seinen ursprünglichen Zweck verloren, die Zukunft liegt im Dienstleistungsbereich und im Tourismus. Die größte Attraktion, die man zu bieten hat, ist John Lennon.

Edwina, eine schlanke, dunkelhaarige Mittvierzigerin, hat die Magical Mystery Tour schon tausendmal geleitet, aber sie macht es immer noch gut. Als wir am Rathaus vorbeifahren, senkt sie ihre Stimme: „Im Juli 1964 waren hunderttausende gekommen, um die Beatles zu ehren. Als Lennon dort oben auf den Balkon trat, begrüßte er die Menge mit dem Hitlergruß. Er sagte später, die Szene hätte ihn an den Reichsparteitag erinnert. So war er eben, der John.“

Nächster Stopp ist ein erdbeerfarbenes Tor zwischen zwei Sandsteinsäulen. Dahinter führt ein Weg zu einem Spielplatz, zwischen den Bäumen ist ein modernes Gebäude zu erkennen. Edwina hat inzwischen den Kassettenrecorder eingeschaltet: „Let me take you down‚ cause I`m going to Strawberry Fields. Nothing is real, and nothing to get hung about. Strawberry Fields forever.“ Strawberry Field ist 1936 als Kinderheim der Heilsarmee eröffnet worden, und das ist es heute noch. Das viktorianische Gebäude, das Lennon als Kind oft besucht hat, ist Ende der Sechziger einem modernen Bau gewichen. Lennon, erzählt Edwina, kam gerne zu Strawberry Field, zum Unmut seiner Tante Mimi, bei der er aufwuchs. „Was hast du dagegen? Sie können mich dafür nicht hängen“, hat Lennon seiner Tante geantwortet: „Nothing to get hung about.“

Um die Ecke, in der Menlove Avenue, steht Mendips, Mimis Haus, in dem John mehr Zeit verbracht hat als an irgendeinem anderen Ort in seinem Leben. In der kleinen gläsernen Vorhalle ist der Grundstein für die Beatles gelegt worden. „John musste zum Üben immer in die Vorhalle, weil Mimi den Krach nicht mochte“, meint Edwina.

Edwina bittet die Tourgäste, sich vorzustellen, wie der kleine John mit seinen Katzen Titch, Tim und Sam im Garten spielte, wie später die anderen drei Beatles an die Tür klopften, wie Welthits im Schlafzimmer über der Vorhalle komponiert wurden: „Imagine!“ Heute wird am Haus eine Gedenkplakette enthüllt. Ein paar Meter weiter, nach einem Besuch bei ihrer Schwester Mimi, ist Lennons Mutter Julia 1958 von einem Polizeiwagen überfahren und getötet worden. Ihr zu Ehren taufte Lennon seinen ersten Sohn Julian.

Weiter geht es zu den Geburtsorten der Beatles und zu ihren Schulen, zu ihren Lieblingskneipen und zum Grab ihres Managers. Die Tourgäste knipsen alles. Wer weiß aber hinterher noch, ob in dem Haus auf dem Foto „Penny Lane“ komponiert wurde, ob Ringo dort ein paar Wochen gewohnt hat oder ob John und Cynthia Lennon dort ihre Hochzeitsnacht verbrachten?

Zum Schluss sind wir wieder in der Mathew Street, am Cavern Club. Die ganze Straße ist den Beatles gewidmet, es gibt Skulpturen, Souvenirläden, einen Beatles-Spezial-Shop, und an der Ecke, wo die Magical Mystery Tour ihr Büro hat, wird in zwei Jahren das Hard-Days-Night-Hotel eröffnet. Ein Tunnel wird direkt in den Cavern Club führen.

Neil Brannan hofft, dass er dann nicht mehr hinter dem Tresen steht, sondern Schauspielkarriere macht. Er ist zu jung, um sich an Lennon zu erinnern, und außerdem war er immer ein McCartney-Fan, sagt er. Dann zeigt er nach oben über die Bar. „Das ist der Original-Balken von der Bühne des alten Cavern Club“, sagt er. „Der neue Club liegt zweieinhalb Meter tiefer. Dort oben hat John Lennon bei seinen 274 Auftritten gestanden.“ Imagine!

Ralf Sotschecks Lieblingsstück von Lennon ist „Sunday bloody sunday“

„Zitate:John musste zum Üben immer in die Vorhalle des Hauses seiner Tante Mimi, weil die den Krach nicht mochte. Hier ist der Grundstein der Beatles gelegt worden.“

„Als Lennon auf den Balkon trat, begrüßte er die Menge mit dem Hitlergruß. Er sagte später, die Szene hätte ihn an den Reichsparteitag erinnert. So war er eben, der John.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen