„Wir sollten viele Firmen schließen“

Zhou Jian, der Sprecher des Pekinger Umweltministeriums: Noch hat das Wirtschaftswachstum Priorität, doch der Umweltschutz gewinnt trotz bitterer sozialer Folgekosten schnell an Bedeutung

taz: Kommt der Umweltschutz in China aufgrund der Entwicklungsstufe des Landes und der hohen Wachstumserwartungen nicht grundsätzlich zu kurz?

Zhou Jian: Unser erstes Ziel heißt Wirtschaftswachtum. Nur durch große Anstrengungen haben wir erreicht, dass das Pro-Kopf-Sozialprodukt in China heute bei 800 Dollar pro Jahr liegt. Das ist ungefähr ein Dreißigstel des deutschen Pro-Kopf-Sozialprodukts. Deshalb bleibt es für die Wahrung der Stabilität weiterhin vorrangig, die Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern. Gleichwohl gehört die Umweltpolitik bei uns zur grundlegenden staatlichen Politik. Beim derzeit wichtigsten Investitionsprogramm der Zentralregierung, der Westerschließung unseres Landes, besitzt der Umweltschutz Vorrang bei allen neuen Maßnahmen.

Neue Umfragen in Chinas großen Städten belegen, dass dort die Bevölkerung den Umweltschutz als größtes gesellschaftliches Problem noch vor Arbeitslosigkeit und Korruption betrachtet. Teilt die Regierung diese Einschätzung?

In den vier von der Zentralregierung direkt regierten Städten, Peking, Schanghai, Tienjin und Chongqing, betragen die Investitionen in den Umweltschutz bereits zwei bis drei Prozent des Bruttosozialprodukts. Der Zeitpunkt für solche Maßnahmen ist günstig, da sich die Konjunkturlage in China wieder deutlich gebessert hat. Die Ziele der letzten Jahre, nämlich die Lösung der Probleme in den Staatsunternehmen, die Armutsbekämpfung und die Wahrung des Wirtschaftswachstums vor dem Hintergrund der Asienkrise, haben wir erreicht. Auch deshalb wird der Umweltschutz immer wichtiger.

In Deutschland trat einst in den 70er- und 80er-Jahren eine neue, junge Generation für mehr Umweltschutz ein, die sich dann bei den Grünen politisch organisierte. Wer macht heute den Umweltschutz in China populär?

Da gibt es in den diversen Schichten unterschiedliche Meinungen. Die Jugendlichen, vor allem die Studenten, betrachten die Umweltfrage als wichtigstes Problem, während diejenigen, die bereits Familien gegründet haben und sie ernähren müssen, Arbeitslosigkeit und die Entlohnung der Arbeit als ihr wichtigstes Anliegen empfinden. Für ältere Leute ist wiederum die Stabilität der Gesellschaft am wichtigsten. Ich verstehe, dass Sie die heutige Bewusstseinsentwicklung in China mit der deutschen Entwicklung in den 80er-Jahren vergleichen. Aber es gibt natürlich auch wesentliche Unterschiede. Wir stehen vor ganz anderen Umweltproblemen als die damals schon hoch entwickelte Bundesrepublik, und unsere Kenntnisse und Fähigkeiten, sie zu lösen, sind deshalb auch andere.

China hat auf der Klimakonferenz in Den Haag die weltweit größten Erfolge bei der Reduzierung von CO 2 -Abgaben nachweisen können. Beruht dieser Erfolg nur auf einmaligen Fabrikschließungen oder auf einer kontinuierlichen Politik?

Die chinesische Regierung hat sich das Ziel gesetzt, bis Ende 2000 das Niveau der freigesetzten Abgase und Abwasser auf dem Niveau von 1995 zu bewahren. Wir werden da voraussichtlich besser abschneiden. 238.000 Unternehmen haben wir zudem aufgefordert, bis Ende 2000 das gesetzlich festgelegte Abgabenniveau zu erreichen. In diesem Zusammenhang wurden bereits 84.000 Unternehmen geschlossen. Das waren zumeist ländliche Betriebe, z. B. Bauern, die sich zusammgetan haben, um eine kleine Fabrik oder eine Kohlengrube zu unterhalten. Diese Bauern müssen heute wieder auf dem Feld arbeiten.

Wie viele Opfer für den Umweltschutz kann die Regierung von der Bevölkerung erwarten?

Neulich haben wir eine große Schmelzfabrik im mandschurischen Shenyang mit 8.000 Mitarbeitern für bankrott erklärt. Zusammen mit den Rentnern und Familienangehörigen waren 100.000 Menschen betroffen. Dabei gingen wir sehr vorsichtig ans Werk. Es gab Arbeitsgruppen, um die Arbeiter zu informieren. Jeder Arbeiter wurde sozialversichert. Mit solchen Mitteln kann das Leben der Entlassenen einigermaßen abgesichert werden. Aber es ist wirklich sehr schwer, solche großen Unternehmen zu schließen. Es gibt daher viele Unternehmen, die aus umweltpolitischen Gründen geschlossen werden sollen, aber noch nicht geschlossen sind.

INTERVIEW: GEORG BLUME