: Aufbruch in die Provinz
Der Westdeutsche Rundfunk setzt auf Stadtfernsehen. Service heißt die Devise, dafür dürfen in Köln und Dortmund WDR-Mitarbeiter sogar Motorrad fahren. Die Rechnung zahlen vor allem die Kulturprogramme im anstaltseigenen „Dritten“
von DIETER ANSCHLAG
Tief im Westen, in der Kölner Zentrale des Westdeutschen Rundfunks, herrscht allenthalben schlechte Laune: Viele Mitarbeiter im Sender, WDR-Gremienmitglieder sowie Beobachter von außen wähnen die größte ARD-Anstalt auf einem waghalsigen Kurs nach unten.
Ein Indiz: Das neue Stadtfernsehen „WDRpunktKöln“ und „WDRpunktDortmund“, täglich im „Dritten“ der Anstalt auf Sendung. Kostenpunkt für die gesamte WDR-Regionalisierung: 250 Millionen Mark allein in diesem Jahr – die Summe zeugt davon, dass dieser Programmbereich in Köln allerhöchste Priorität – auch bei Intendant Fritz Pleitgen – genießt. Dass das öffentlich-rechtliche Lokalfernsehen auch die Zeitungsverleger herausfordert – der Kölner Pate Alfred Neven DuMont (Stadtanzeiger, Kölnische Rundschau, Express) hat sich bei Pleitgen schon brieflich entrüstet – ist dabei völlig in Ordnung: Schließlich will der Verleger nur sein Monopol auf Lokalberichterstattung wahren und am liebsten selbst Ballungsraumfernsehen machen.
Die echten Probleme sind senderintern: Das unter dem Arbeitstitel „Metropolenfenster“ aufgebaute Stadtfernsehen hat zur Folge, dass andere TV-Bereiche des WDR verkümmern. Das Personal ist desillusioniert. Die Mitarbeiter wurden in die Entscheidungsabläufe nicht mit einbezogen; „die betroffenen Kolleginnen und Kollegen in den einzelnen Redaktionen sind stinksauer“, war dazu in der DJV-Depesche des Deutschen Journalisten-Verbands zu lesen.
Mit großem Befremden goutierten die Mitarbeiter auch, dass als Leiter für „WDRpunktKöln“ mit Jürgen Kleikamp auch noch ein ehemaliger Bild-Zeitungsredakteur engagiert wurde. Der Mann hat das Boulevard-Blatt zwar schon vor einigen Jahren verlassen, doch was er dort so anstellte, ist in Günter Wallraffs Buch „Zeugen der Anklage“ (1979) dokumentiert. Dort heißt es in Zusammenhang mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns: „Das Schlüsselwort Geheimdienst ist auch im November 1976 gefallen: Der BILD-Redakteur Jürgen Kleikamp wurde damals zur Observierung meiner Kölner Wohnung eingesetzt. In seiner Not, seinen Auftrag womöglich nicht erfüllen zu können, machte er mir folgendes Angebot: ‚Sie vermitteln mir Fotos und ein Exklusiv-Interview mit Biermann, und ich sage Ihnen, wo der BND heute Nacht bei Ihnen eine Wanze angebracht hat.‘“ Kaum zu glauben, dass der Intendant und sein Verantwortlicher für die Regionalprogramme, Harald Brand, nicht wussten, wen sie da zum Chef des Kölner Stadtfernsehens beriefen.
Das der WDR den Großteil seiner finanziellen Potenz für Programmneuerungen ausgerechnet ins Lokale steckt, darf nun vor allem die Kulturberichterstattung ausbaden. Sie wurde im WDR-Dritten nach allen Regeln der Programmplanungskunst zusammengestrichen (siehe taz vom 13.10.): Zuerst kam das Ende für „Rockpalast“, „Rückblende“ und „Nachtkultur mit Willemsen“. Das aktuelle „Arbeitspapier“ zur immerwährenden Programmreform sieht vor, außerdem die Sendungen „Leselust“ und „Spuren“ zu eliminieren. Wird der Plan umgesetzt, wäre es Gabriel Heim, dem Leiter der Abteilung Programmplanung und Controlling, gelungen, gleich fünf Kulturtermine im Nirwana des WDR-Systems verschwinden zu lassen. Dann wird das Hauptprogramm nur noch einen Kulturtermin haben („Kulturszene“) – so wenig, wie kein vergleichbares drittes Programm.
Eine „Stellungnahme zur Kulturberichterstattung“, die der WDR-Rundfunkrat erst Mitte September verabschiedet hatte, scheinen Intendant Pleitgen und sein Controller zu verdrängen. „Als herausragendes Markenzeichen“ wurde da die Kultur gewürdigt. Und deren Erfolg, so hieß es da, messe sich „nicht in erster Linie an Reichweiten, sondern auch an Prestige“. Hehre Worte, die von Heims Plänen wie mit Hohn konterkariert wirken. Erschwerend, so heißt es intern, komme hinzu, dass Heim gegen Rolf-Dieter Krause, seit rund einem Jahr Wellenchef des WDR-Fernsehens, eine Blockade-Politik betreibt, weil er den Posten gerne selber übernehmen möchte. Krause, so ist intern zu hören, soll jedenfalls vorzeitig wieder abberufen werden.
In der Tretmühle der WDR-Programmplanung konnte sich so am Ende auch jemand wie der noch amtierende Kulturchef Michael Schmid-Ospach nicht mehr zum Retter aufschwingen: Er geht im nächsten Jahr zur Filmstiftung NRW. Dass unter solchen Umständen neue feste Sendeplätze für Kultur gar nicht erst zustande kommen, ist kein Wunder. Nebenbei darf man gespannt sein, wer die „Mission Impossible“ eines TV-Kulturchefs beim WDR überhaupt noch übernehmen will.
Dafür gibt es jetzt Stadtfernsehen. Hier kümmert sich der WDR darum, „wie winterfest die Autos von Köln sind“, wo gerade eine Rolltreppe reparaturbedürftig ist und wo man die schönsten Weihnachtsbäume der Stadt kaufen kann. Speziell „WDRpunktKöln“ fällt durch einen geradezu manischen Populismus auf. Umfragen, was das Zeug hält: „Sind Sie für die Olympischen Spiele in Köln?“, „Finden Sie es schlimm, dass die Rolltreppe kaputt ist?“ –der Nachrichtenwert ist egal. Hauptsache, hier hat der WDR von der Lokalpresse gelernt, die KölnerInnen sehen sich im Fernsehen. Service und Boulevard statt Politik und Kultur heißt die Devise. Dazu kommen Gewinnspielchen, bei denen „drei wunderschöne Köln-Globen“ verlost werden, 128 Mark das Stück. Da ist dann statt der Erde der Kölner Stadtplan aufgedruckt – ein eindringliches Symbol für die Flucht des WDR in die nordrhein-westfälische Provinz.
Denn schon seit einigen Jahren wirkt der Rundfunk-Koloss am Rhein als stark selbstbezügliches System ohne den notwendigen Kontakt zur gewandelten kommunikativen und sozialen Umwelt in der neuen Bundesrepublik. Insbesondere der Regierungsumzug hat den Sender und seine Berichtskompetenz schwer getroffen. Seit Juli 1995 ist Intendant Pleitgen dabei, den WDR, wie er es schon einmal selbst salopp ausdrückt, „zu regieren“. Das Management herrsche „in patriarchalischer Pose“, schreibt die DJV-Depesche über Pleitgens Führungsstil. Nun kann man dem Intendanten nicht nachsagen, die Bedeutung des Berliner Hauptstadtsogs für den WDR unterschätzt zu haben. Gerade Pleitgen, der im Januar neben seinem Intendantenjob auch noch den des ARD-Vorsitzenden übernimmt, warnte stets vor den Folgen, die ein kulturell-politisch aufgewertetes Berlin für NRW und den WDR haben würde.
Doch auf die richtige Analyse folgte – Halbgares. Die Versuche, den WDR angesichts der Nähe zu Brüssel auf Europa-Berichterstattung auszurichten, haben den Charme einer Schallplatten-B-Seite. Statt dessen konzentriert sich der Sender jetzt auf die Sehnsucht des Publikums nach der Nahwelt. Und selbst ARD- Programmdirektor Günter Struve hörte bereits die „Alarmglocken läuten“, weil er befürchtet, dass die stadtfernsehselige Großanstalt ihren Verpflichtungen für das ARD-„Erste“ nicht mehr im gewünschten Umfang nachkommen könnte.
Denn nicht nur in der Kultur, auch in Sachen Unterhaltung und Dokumentation verschwindet der WDR zunehmend von der Bühne: Klassische Programm-Genres wie Fernsehspiel, Show oder Serie werden böse vernachlässigt. Doch genau hier muss der WDR finanziell und personell leistungsfähig bleiben, wenn er seinen Einfluss innerhalb der ARD behalten will. Als Großsender von biederer politischer Korrektheit, mit einem statuarischen Intendanten, der auftritt wie der König von Versailles und dabei übersieht, dass sich in seinem Schloss am Rhein frustrierte Redakteure und eilfertige Höflinge gegenseitig lähmen, kann der WDR kein Profil bilden. Und bei einem Jahresbudget von 2,4 Milliarden Mark könnt der Gebührenzahler eigentlich mehr erwarten als die Selbstprovinzialisierung des WDR.
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