: Türkische Polizei nölt
Tausende Polizisten demonstrieren nach dem Mord an drei Kollegen. Die Politik gegenüber den hungerstreikenden Häftlingen ist ihnen zu „weich“
ISTANBUL taz ■ Sie riefen „Rache, Rache“ und forderten lauthals den Rücktritt des Ministerpräsidenten, des Justiz- und des Innenministers. Mehr als 3.000 Polizisten marschierten gestern vor das Istanbuler Gouverneursgebäude, auf der Suche nach einem Schuldigen am Tod zweier ihrer Kollegen. Zudem brüllten sie ihre Wut über eine Amnestie für rund die Hälfte aller Insassen der türkischen Gefängnisse heraus, auf die das Parlament sich am Wochenende geeinigt hatte. Außer in Istanbul gingen noch in Bursa, Adana und Izmir Polizisten auf die Straße.
Auslöser für den Aufstand der Polizei war ein Attentat auf einen Polizeibus am Montag, bei dem zwei Polizisten getötet und elf weitere schwer verletzt wurden. Unbekannte hatten den Bus in Istanbuls Vorort Gaziosmanpasa beschossen. Der Anschlag war offenbar ein Racheakt für eine Polizeikugel am Vortag, die einen Jugendlichen beim Plakatieren zur Unterstützung des derzeit in 18 Gefängnissen stattfindenden Hungerstreiks tötete. Zu dem Attentat auf den Polizeibus bekannte sich die maoistische TKP/ML, deren Mitglieder sich an dem Hungerstreik beteiligen.
Die Polizistenmorde haben die Spannungen rund um den Hungerstreik erheblich verschärft. Eine Unterstützerdemonstration für die Gefangenen wurde in Ankara zuerst von Mitgliedern der „Grauen Wölfe“, die der regierenden MHP angehören, tätlich angegriffen und dann noch von Polizisten zusammengeknüppelt. Dies erinnerte an Szenen Ende der 70er-Jahre, als Angehörige linker und rechter Gruppen sich auf offener Straße bewaffnete Gefechte geliefert hatten und auch die Polizei kräftig mitmischte. Die meisten Kommentatoren erklären die Wut der Polizei mit der schlechten sozialen Situation und der zunehmenden öffentlichen Kritik an „Folterpolizisten“ und Misshandlungen auf Polizeistationen.
Dazu kommt, dass viele Polizisten Anhänger der ultranationalistischen MHP sind und sich darüber empören, dass der Staat mit den angeblichen „Terroristen“, die sich im Hungerstreik befinden, verhandelt. Über 200 Gefangene sind nun bereits 54 Tage im Hungerstreik, mindestens drei befinden sich in akuter Lebensgefahr. Seit dem Wochenende ist eine Gruppe von Intellektuellen intensiv bemüht, in Gesprächen mit Justizminister Sami Hikmet Türk und den Gefangenen einen Kompromiss zu finden. Deren Hauptforderung ist, nicht in die Isolationszellen der neuen Gefängnisse verlegt zu werden.
Am Wochenende hatte Türk in einer Fernsehansprache den Hungerstreikenden angeboten, solange keine Häftlinge in die neuen F-Typ-Gefängnisse zu verlegen, bis über deren Ausgestaltung eine einvernehmliche Regelung mit den Ärzte-und Anwaltsverbänden gefunden wird.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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