: Der kleine Schritt von den Meistersingern zum Lynchmob
Spiegelt sich der Antisemitismus Richard Wagners in seinem Werk wider? Neue Beiträge weisen in seinen Musikdramen verborgene rassistische Anspielungen nach
Der Verdacht will nicht vergehen. In Israel sind Richard Wagners Werke, des notorischen Antisemitimus des Komponisten wegen, nach wie vor tabu. Und vor einigen Wochen kursierte in Berlin das Gerücht, ein Operndirektor, dessen Liebe zu Wagner stadtbekannt ist, habe im Hinblick auf den möglichen Weggang seines Kollegen Daniel Barenboim von der Deutschen Oper vom anstehenden „Ende der Juderei“ gesprochen. Auch wenn dieser Vorwurf letztlich nie bestätigt werden konnte – Wagner und Antisemitismus liegen, so der Subtext der Beschuldigung, immer noch nahe beieinander.
Doch nicht nur verstockte Alt-Wagnerianer leugneten noch in der Nachkriegszeit jeden „versteckten“ antisemitischen Gehalt der Werke – dass etwa die Antipoden der lichten Helden nicht selten mit „typisch jüdischen“ Eigenschaften bedacht (und auch so rezeptiert) wurden. Selbst Wortführer einer ansonsten kritischen Wissenschaft und Publizistik wie Carl Dahlhaus und Joachim Kaiser erklärten den publizistischen Antisemitismus Richard Wagners hartnäckig für nebensächlich. Und gegen die seit den Siebzigerjahren vorgetragenen Erwägungen, unter der ästhetischen Oberfläche der Werke, insbesondere des „Parsifal“, könne eine antisemitisch pointierte Botschaft verborgen sein, führten sie unisono ins Feld, „Parsifal enthalte kein antisemitisches Wort, keine irgendwie eindeutig antisemitische Konstellation.
Das trifft durchaus zu. Freilich ging es dem damals in der Debatte federführenden Münchener Germanisten Hartmut Zelinsky im Wesentlichen um das Subkutane: um die Kunst des künstlerischen Kodierens und um Kriechströme der Rezeptionsgeschichte.
In Bayreuth – und mit Hilfe der historisch keineswegs unbelasteten „Gesellschaft der Freunde Bayreuths“ – kümmerte sich im August 1998 ein deutsch-israelisches Symposium um weit reichende geschichtliche Aspekte des Verhältnisses von Wagner zu Juden (wie Heine oder Meyerbeer), zu Chamberlains Rassenlehre und die Wirkungsgeschichte in Deutschland („Wie viel ‚Hitler‘ ist in Wagner?“) – unter der Prämisse einer „emotionsfreien Objektivität“. Ergänzend und teilweise konkurrierend wurde auch auf Schloss Elmau über Wagner-Kult und nationalsozialistische Wagner-Interpretation, überhaupt Ideologie und Herrschaft debattiert. Bemerkenswert im keineswegs homophonen Konzert die Stimme des Hitler-Biographen Joachim Fest, kreisend um „Das Werk neben dem Werk“ (und damit eben über Kriechströme der Wirkungsgeschichte) und von Dorothea Redepenning (zur osteuropäischen Wagner-Rezeption in der Stalin-Ära). Die gesammelten Beiträge dieser Konferenzen liegen jetzt auch als Sammelband vor und dokumentieren damit die weitgefächerten Facetten der versuchten Problembewältigung.
Einer der Referenten der Elmauer Konferenz war der amerikanische Literatur- und Film-Wissenschaftler Marc A. Weiner. Er setzte sich dort kritisch mit den philologischen Methoden auseinander, die, bislang gebräuchlich, jedoch offensichtlich unzureichend waren: Sie müssten um Techniken einer „Kulturarchäologie“ erweitert werden, die auch verborgene und verschüttete Momente des Ideologiehaltigen freisetzten. Zur Untermauerung seiner – heftig attackierten – Thesen legte er nun „Antisemitische Fantasien“ nach. Diese Streitschrift durchbricht die herkömmlichen Grenzen wissenschaftlicher Arbeit (oder gar juristischer „Beweisführung“ ). Sie operiert im Spannungsfeld von Eindeutigkeit und Polyvalenz der Figuren in Wagners Musikdramen.
Sie legt relativ schlüssig dar, wie weit gehend die ihnen von Wagner zugesellten Attribute, vor allem körperliche Merkmale, Gerüche und Singweisen, auch als antisemitisch gedeutet werden konnten, ohne dass Figuren wie Mime oder Klingsor explizit einer bestimmten „Rasse“ zugeschrieben werden mussten.
Weiner entwickelt mit Hilfe „ausgewählter Dokumente aus der deutschen Kulturgeschichte“ ein „Assoziationsspektrum“. Er sucht den „Erwartungshorizont“ des Publikums der Wagner-Zeit zu rekonstruieren und schweift hinaus zu den traditionellen Darstellungen des Teuflischen und des Jüdischen, ist aber klug genug, den Schluss zu vermeiden, Wagner habe „die Bösen“ eindeutig oder gar ausschließlich als jüdisch gekennzeichnet. Aber sie zeichnen sich eben immer auch durch jene abgründigen Zuordnungen aus. Dieser tückische Kontext habe in der deutschen Kulturgeschichte nur zu fatal funktioniert.
Wohl am überzeugendsten wird das Geflecht der antisemitischen Markierung und Wirkung in Bezug auf die Beckmesser-Figur der „Meistersinger von Nürnberg“ dargelegt. (Der Kritiker B., der als Mitbewerber um das schöne Evchen auftritt und kläglich unterliegt, trug in den Libretto-Entwürfen den Namen Veit Hanslich – nach dem von Wagner & Cosima als „Juden“ geouteten katholischen Wiener Kritiker Eduard Hanslick.)
Beim Sängerwettstreit begeht der pedantische und unschöpferische Hanslich/Beckmesser ein Plagiat – und blamiert sich gewaltig. Die erotisch besetzten Naturbilder des ihm in die Hände gespielten Traumgedichts des Walther von Stolzing („voll aller Wonnen/ nie ersonnen“) vergisst er im Stress des Wettbewerbs; es unterlaufen ihm Metaphern der Vergeblichkeit („bald gewonnen/ wie zerronnen“), insbesondere aber unfreiwillige Enthüllungen seiner Geldgier sowie seiner Blut- und Todesfantasien – aus „Blüt’ und Duft“ macht er „Blut und Duft“; er sieht sich am Pranger stehen, sogar am Baum gehenkt. Tatsächlich lässt Wagner sein Festwiesenvolk ausrufen: „Schöner Werber! . . . Bald hängt er am Galgen!“
Mit Beckmessers publizistischer Hinrichtung setzte Wagner just die Gedanken ins Kunstwerk, die er zuvor in „Das Judentum in der Musik“ theoretisch entwickelt hatte. Und zweifellos mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich „die Verbindung zwischen dem ideologischen Programm in Wagners Essays und dem seiner Musikdramen“, wie Weiner schreibt, „nicht nur auf die Meistersinger und die Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts“ beschränkt.
FRIEDER REININGHAUS
Marc A. Weiner: „Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners“. 478 Seiten, Henschel Verlag Berlin 2000; 48,00 DM; Dieter Borchmeyer u. a. (Hg.): „Richard Wagner und die Juden“. 358 Seiten, Metzler Verlag Stuttgart, 49,80 DM; Saul Friedländer u. a. (Hg.): „Richard Wagner im Dritten Reich“. 372 Seiten, C.H. Beck München, 29,90 DM
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