piwik no script img

Explosive Stimmung in Jüterbog

In der mittelalterlich-beschaulichen Kleinstadt Jüterbog südlich von Berlin sorgt ein „Garnisonsgeschichtsverein“ für Streit: Er will regelmäßig Manöver-Shows veranstalten. Mit „Rechten und Glatzen“, sagen alle, wolle man nichts zu tun haben. Doch im Vereinsheft werden alte SS-Männer gefeiert

von PHILIPP GESSLER

Der grau melierte Herr entschuldigt sich schon im Voraus, aber sagen muss er das dann doch: Die Sache mit der St. Barbara, die sei doch gewiss auf dem Mist – Entschuldigung! – von dem Herrn Schulze gewachsen: Eine Heilige! Als Name für einen Garnisonsgeschichtsverein! Der empörte Mann muss sich zusammenreißen, um weitere Kraftausdrücke zu vermeiden.

Dabei hatte Superintendent Matthias Fichtmüller wenige Minuten davor noch gemahnt, „die Würde des Raumes zu wahren“. Hier, bei der Diskussionsveranstaltung in der Liebfrauenkirche solle man doch sachlich bleiben. Aber das geht nicht, trotz des adventlichen Schmucks aus Tannenzweigen und roten Kerzen, trotz der vorweihnachtlich-friedlichen Zeit. Im malerischen Jüterbog, der Hauptstadt des sanften Fläming, südlich von Berlin gelegen, gehen die Emotionen hoch. Spätestens seit dem Buß- und Bettag, der am 22. November war.

Ein T-34-Panzer

Da lärmte auf dem Flugplatz Damm im Süden des beschaulichen Jüterbog der berühmt-berüchtigte Panzer T 34 über die Heidelandschaft: Der Sowjetpanzer aus dem Zweiten Weltkrieg war die Hauptattraktion bei einem „Schau-Manöver“ des Jüterboger „Garnisonsgeschichtsvereins St. Barbara“. „Panzerketten klirren und quietschen, die Motoren der Mannschaftswagen dröhnen, Jeeps brausen durch das von Knall und Qualm der Imitationsgranaten beherrschte Gelände“, schilderte die Märkische Allgemeine das bemerkenswerte Geschehen. Das – zumindest in der Bürgerschaft – den Krieg zurückbrachte nach Jüterbog. Und die alten Kameraden.

Doch vordergründig geht es nur um die Ballerei. Die „Schau-Manöver“ sollen nach dem Willen des Vorsitzenden des Garnisonsgeschichtsvereins, Henrik Schulze, in Zukunft möglichst zwei bis drei Mal im Jahr stattfinden – und die „Studie“, wie der 50-jährige Telefonbuchverlagsvertreter das laute Ereignis nennt, hatte dabei den einen Zweck: die anwesenden Fachleute der lokalen Behörden davon zu überzeugen, dass so eine Show doch gar nichts Schlimmes sei.

Vom Militär geprägt

Im Schmied zu Jüterbog, einem auf Landgasthof getrimmten Wirtshaus gleich neben dem mittelalterlichen Backstein-Rathaus, steht Schulze zu einem Gespräch bereit: Er ist offiziell ernannter, wenngleich ehrenamtlich tätiger Ortschronist, wie er sogleich erklärt. Und außerdem muss er sofort betonen, dass hier doch keine Klischees bedient werden sollten. Warum dieser ganze Streit um die Panzervorführungen so hochkoche, versteht er überhaupt nicht.

Denn Jüterbog sei doch einfach geprägt vom Militär, betont Schulze. Seit 1832 waren hier in der Gegend Soldaten stationiert, von der preußischen Armee über die Reichswehr und die Wehrmacht bis zur Sowjetarmee, ununterbrochen: Bis zum Abzug der letzten Einheit der Westgruppe der russischen Armee vor sechs Jahren kamen auf jeden Jüterboger drei bis vier Soldaten aus der ehemaligen UdSSR. Sie hinterließen 200 Quadratkilometer militärisches Sperrgebiet, viele Altlasten und einige alte Gebäude. Das werde derzeit alles „aufgeräumt“, vieles aber sei übrig geblieben: von der roten Leninfahne über Feldpostbriefe in allen Sprachen des untergegangenen Imperiums bis zu Funk- oder Sportgeräten. „Bei aller Schwierigkeit“ gelte es, diese Hinterlassenschaften für die Nachwelt zu bewahren. Um „zu zeigen, wie es war“.

Aufgereiht wie Soldaten

Deshalb wolle man ein Museum zur Garnisonsgeschichte – nicht zur Militärgeschichte! – aufbauen, und zwar vor allem am historischen Ort: einem 4.000 Quadratmeter großen Gelände mit zwei Unterständen, mit Erdreich getarnten so genannter Bodendeckungen, in denen sowjetische Düsenjets standen. Einer dieser MiG-Shelter werde derzeit mit Mitteln der EU im Rahmen eines Programms zur Konversion militärischer Anlagen zu einem Wohnhaus umgebaut. Da es aber viele Museen dieser Art gebe und Eintrittspreise zur Finanzierung nicht ausreichen dürften, brauche man eine Attraktion, mit der niemand anderes aufwarten könne: Pro Jahr sei an zwei oder drei Großveranstaltungen gedacht, bei denen die etwa sechs Militärfahrzeuge und Panzer des Vereins „in Bewegung“ vorgeführt werden sollten. Woher die Tanks kommen, will Schulze nicht preisgeben: „Import“ sei das, sagt er. Mehr ist darüber nicht zu erfahren.

Immerhin kann man die mysteriösen Kriegsgeräte anschauen: Da stehen sie, die umstrittenen Exponate, in der brandenburgischen Ödnis, aufgereiht wie Soldaten neben den zwei Unterständen – einer der Shelter wird von einem „Vereinskameraden“, wie Schulze sagt, zu einem Ökohaus umgebaut. Umgeben ist das Objekt von einem Zaun, der Stacheldraht ist sowjetischer Herkunft, betont Schulze, und der sei gar nicht so leicht zu beschaffen. Zwei Originalschilder sollen Unbefugte abhalten. Der Wind pfeift, und ein Schild des Garnisonsgeschichtsvereins zeigt an, was man tatsächlich hier errichten wolle: „ein Militärmuseum“. Das sei ein Missverständnis, beteuert dagegen Schulze: Der zukünftige Ökohaus-Besitzer habe das ganze übereilt auf das Schild geschrieben.

Helmut Stark gehört der Shelter. Er leitet einen Malerbetrieb. Seine schweren, mit Farbresten bespritzten Hände ruhen auf der Tischdecke in der Liebfrauenkirche, als er versucht, das Projekt von St. Barbara zu verteidigen. Selbst Mitglied eines Kirchen-Ältestenrates, entschuldigt er sich zunächst in aller Form dafür, dass man das „Schau-Manöver“ am Buß- und Bettag veranstaltet habe. Das sei „ein Missgriff“ gewesen. Das Vorhaben seines Vereins sei jedoch in der Presse „überspitzt dargestellt“ worden. Es gehe St. Barbara doch nur darum, „touristisch etwas zu bewegen“. Die Shows mit den Panzern seien keine Mänöver, denn die Kettenfahrzeuge seien „demilitarisiert“. Tatsächlich müssen Panzer, die nicht im Besitz der Bundeswehr sind, kriegsuntauglich gemacht werden – durch Schlitze im Rohr beispielsweise. „Jeder Schützenverein ist gefährlicher“, betont Stark, „denn die haben richtige Waffen.“

Der Geist der Waffen

Doch bei den etwa 20 Mitdiskutanten in der Kirche verfängt Starks Rede nicht: „Wir haben genug mit Krieg zu tun gehabt“, empört sich ein alter Mann. Das Tourismus-Argument werde nur vorgeschoben. „Garantiert kommen die alten Kameraden und verherrlichen das.“ „Der Geist der Waffen“ gehe doch auch auf die Besucher über, wenn man in die Militärfahrzeuge einsteigen und auch damit fahren dürfe, warnt ein anderer. Superintendent Fichtmüller erklärt, auch abgerüstete Panzer blieben für ihn Panzer.

Der Geschäftsführer des Fremdenverkehrsverbandes Teltow-Fläming, Traugott Heinemann-Grüder, ist auch gekommen. Mit der geplanten neuen Attraktion Jüterbogs kann er sich überhaupt nicht anfreunden: Er versuche die Gegend doch als Erholungsraum zu bewerben – eine Todesbedrohung, wie sie Panzer ausdrückten, passe da überhaupt nicht. Militaria-Fans würden durch die Shows angelockt, eine „Vergöttlichung der Technik“ betrieben.

Familienväter

Stark protestiert: Mit „Rechten und Glatzen“ habe man „in keiner Weise“ was zu tun. Zum Verein gehörten lediglich „gestandene Familienväter“. „Die Rechten brauchen wir nicht einzuladen, die kommen von selber“, wirft eine junge Mutter ein.

Es ist nicht Starks Abend. Als er weg ist, stehen der Tourismusplaner und der Superintendent noch zusammen: Heinemann-Grüder verweist darauf, dass es in Jüterbog eine verdeckte Arbeitslosigkeit von 25 Prozent gebe – da strecke man sich nach jedem Hoffnungshalm. Die Natur in der Gegend sei durch das Militär in einem Bogen von etwa 50 Kilometern in Ost-West-Richtung und bis zu 15 Kilometern nach Norden und Süden hin „vergewaltigt“. Superintendent Fichtmüller war 1982 in der DDR mit dem von der Staatsmacht bekämpften Sticker „Schwerter zu Pflugscharen“ zur Musterung erschienen. Ein Gemeindemitglied sei in Tränen ausgebrochen, erzählt er beim Gang über den Kirchhof, wo Dutzende sowjetische Soldaten liegen. Sie habe in Erinnerung an die jahrzehntelange Belastung durch die MiGs, die dienstags und donnerstags über die Kreisstadt düsten, geweint. Und vor lauter Empörung über das Vorhaben des Garnisonsgeschichtsvereins.

Bürgermeister Bernd Rüdiger (FDP) ist „Ehrenlegionär“ von St. Barbara – „selbstverständlich“, wie er sagt, denn in einer historisch von der Armee dermaßen geprägten Stadt gehöre sich das auch so. Die Schau-Manöver seien das „I-Tüpfelchen“ für ein Garnisionsmuseum, das die Stadt brauche. Die „Gefechtsfeld-Imitationen“ samt Explosionen würden voraussichtlich von den Behörden genehmigt. Er bekomme sehr viele Anfragen von Leuten, die sich mit der Militärgeschichte des Ortes befassen wollten – da wäre es „dumm“, wenn man dieses Interesse „links liegen lassen würde“. Solche Shows könnten sich angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zu einer „ernst zu nehmenden wirtschaftlichen Größe“ entwickeln. Außerdem: „Ein Silvesterfeuerwerk ist lauter.“ Aber würden durch die Schau-Manöver nicht alte Kameraden und neue Nazis angelockt? „Nur über meine Leiche“, empört sich Rüdiger, man wolle auf keinen Fall eine rechte Wallfahrtsstätte werden. Doch wie will er die Rechten fern halten? Das werde ihm schon gelingen, betont er. Aber wie? Man werde schon Wege finden. Unwissend zeigt sich der Bürgermeister auch über eine Kleinigkeit, die belegt: Die alten Geister sind in seiner Stadt schon angerauscht.

Legion Condor

Im ersten Mitteilungsblättchen des Garnisonsgeschichtsvereins, „Barbara-Meldung Nr. 1“ genannt, wird ein großes Foto von Heinz Braunschweiger, eines anderen Ehrenlegionärs von St. Barbara, gezeigt. Es zeigt den ehemaligen Oberleutnant der Luftwaffe in Wehrmachtsuniform, „ausgezeichnet mit dem Spanienkreuz“, wie es im Heftchen heißt. „Im Rahmen der Legion Condor“ sei der Lindauer nach Spanien gezogen. Das Spanienkreuz wurde deutschen Soldaten für ihren Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg (1936 – 39) verliehen, und zwar am 6. Juni 1939, als die Legion Condor vor Adolf Hitler paradierte. Am 26. April 1937 bombardierte die deutsche Legion Condor, eingesetzt auf Seiten des Faschisten Francisco Franco und gegen die Republik, die nordspanische Stadt Guernica. Dabei starben mindestens 250, womöglich sogar 1.500 Menschen. Die Stadt war zu über 75 Prozent zerstört – Pablo Picasso malte sein weltberühmtes Bild als Protest gegen dieses Verbrechen.

Alte SS-Männer

In der „Barbara-Meldung Nr. 1“ ist zudem das Grab von Egon Pabel zu bewundern – er gehörte zum Stab des fünften SS-Gebirgskorps. Auf einer Seite portraitiert wird auch Fritz Winkelmann aus Ladenburg. Der heute 90-jährige gehörte beim Tag von Potsdam zur Fahnen- und Ehrenkompanie. An diesem 21. März 1933 verneigte sich der gerade ernannte Reichskanzler Hitler vor dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und versöhnte sich so mit den alten preußisch-militärischen Eliten. Später war Ehrenlegionär Winkelmann dann Ausbilder der SS-Stabswache Berlin, „der späteren SS-Leibstandarte ‚Adolf Hitler‘ “, wie das Heftchen des Vereins berichtet.

Vereinschef Schulze verteidigt die Ehrung für Ehrenlegionär Braunschweiger – er habe St. Barbara eben größere Schenkungen übergeben. Außerdem sei ja unklar, inwieweit der Geehrte „persönlich“ an den Taten der Legion Condor beteiligt gewesen sei. Dreimal erwähnt Schulze auf seiner privaten Homepage, dass im April 1945 „von Jüterbog aus der einzige größere Selbstopfereinsatz der Luftwaffe (‘Kamikaze‘) stattfand“. Von seiner Internetseite ist es auch kein Problem, sich über wenige Links zu Web-Auftritten durchzuklicken, in denen „die deutsche Panzerentwicklung bis 1945“ geschildert und für ein Buch über die „Waffen SS“ Reklame gemacht wird.

Alte Kameraden im Vereinsheft, Panzer vor den Toren – alles Zufall? Schulze betont, er wolle keine Rechten in seinem Verein – und dass keine aufgenommen würden, „dafür kann ich bürgen“. Der Name St. Barbara, erklärt er, komme daher, dass die christliche Märtyrerin als Patronin all derer gelte, die mit Feuer und Explosionen zu tun hätten.

St. Barbara

Diese Heilige wurde in Jüterbog verehrt, seitdem wegen der 1890 eingerichteten Artillerieschule auch katholische Soldaten aus dem ganzen Reich in den Fläming kamen. Barbara ist in einem Fenster der St.-Hedwigs-Kirche zu sehen. Auch deren katholischer Pfarrer ist ein „Vereinskamerad“ Schulzes. Der Geistliche engagiert sich seit Jahren dafür, kroatischen Geschädigten des Krieges in Bosnien Hilfsgüter zu schicken. Das sei doch kein Widerspruch zu seinem Engagement im Verein, meint Schulze. Dem neuen Vereinsheft, der „Barbara-Meldung Nr. 2“, ist ein Zitat von Prinz Eugen, dem „edlen Ritter“, vorangestellt: „Wer seine Pflicht tut, ist erhaben über jede Verfolgung der Kritik, der alle Menschen ausgesetzt sind.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen