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Das deutsche Strafrecht gilt weltweit

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs hat jede Veröffentlichung im Internet Auswirkungen in Deutschland. Inhalte sind deshalb auch dann nach deutschem Recht strafbar, wenn sie auf einem ausländischen Server liegen

Als „eine neue Version des ‚Am deutschen Wesen soll die Welt genesen‘ “ müsse es anderen Staaten vorkommen, wenn deutsche Behörden alle Straftaten im Internet zur eigenen Sache machen, warnte der Konstanzer Rechtswissenschaftler Eric Hilgendorf. Internationale Proteste könnten nicht ausbleiben.

Der Bundesgerichtshof sah es anders. In der vergangenen Woche entschied er, dass ein Rechtsextremist, der in Australien ganz legal per Internet den Holocaust leugnet, in Deutschland als Volksverhetzer verurteilt werden kann. Die Vorgeschichte: Der 1954 aus Deutschland nach Australien ausgewanderte Gerald Fredrick Toben speist seit Jahren Texte in die Homepage des selbst gegründeten „Adelaide Institute“ ein, die den Massenmord an den europäischen Juden leugnen. Im Frühjahr 1999 unternimmt er eine Europa-Reise, die ihn nach Deutschland führt. In Mannheim besucht er den Staatsanwalt Hans-Heiko Klein, der regelmäßig gegen Rechtsextremisten prozessiert, und will ihm angebliche Beweise präsentieren, dass der Holocaust nicht stattgefunden habe.

Klein lässt Toben verhaften und klagt ihn unter anderem der Volksverhetzung an. Das Landgericht Mannheim hatte zu klären, ob die deutsche Justiz für im Ausland eingespeiste Inhalte überhaupt zuständig sei, und kam im November vergangenen Jahres zu einem entschiedenen „Jein“. Es verwies auf Paragraf 9 des Strafgesetzbuchs, der den Tatort als den Ort bestimmt, an dem jemand gehandelt hat oder an dem die Auswirkungen seiner Tat eingetreten sind.

Nun wirkt sich jeder Inhalt im Internet auch in Deutschland aus. Volkshetzung allerdings könne man vom Ausland aus dennoch nicht begehen, meinten die Mannheimer Richter. Hierbei handele es sich um ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“, das im Gesetz nicht an eine konkrete Auswirkung der Tat gebunden sei.

Eine Spitzfindigkeit mit Folgen: Die Internetveröffentlichungen im Verbund mit anderen Straftaten bescherten dem Angeklagten zehn Monate Haft wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Für Volksverhetzung hätte er eine erheblich längere Zeit hinter Gittern verbracht. Strafmildernd wertete das Landgericht, dass Tobens Texte auf Englisch im Netz erschienen und damit nicht gezielt für ein deutsches Publikum eingespeist worden waren. Damit griff es den Vorschlag des Juristen Marcus Collardin auf, der meint, nur „finale Eingriffe“ sollten im Internetzeitalter verfolgt werden. Der BGH hat der universitären Juristerei jetzt die kalte Schulter gezeigt. Er stellt klar: Inhalte, die per Internet oder sonst wie nach Deutschland gelangen und hier strafbar sind, rufen deutsche Staatsanwaltschaften auf den Plan. Die Verantwortlichen können in Deutschland belangt werden, weil sie ihre Taten juristisch auch hier begangen haben.

Im konkreten Fall hat das Urteil allerdings keine Bedeutung mehr: Toben lebt wieder in Adelaide und wird es tunlichst vermeiden, nach Deutschland einzureisen. Zur Auslieferung durch die australischen Behörden wird es nicht kommen, denn nach dortigem Recht hat der Holocaust-Leugner nichts Verbotenes getan. Das Urteil wird dazu führen, dass Internetpropagandisten um Deutschland einen Bogen machen, wohl kaum aber dazu, dass ihre Seiten aus dem Netz verschwinden. Mit dem Versuch, einen Net-Nazi aus dem Cyberspace zu verbannen, sind die deutschen Behörden schon einmal gescheitert: Anfang 1996 hatten sie mehrere Provider unter Druck gesetzt, den Server des deutschkanadischen Holocaust-Leugners Ernst Zündel zu sperren. Daraufhin gab es nicht eine, sondern über 20 „Zündelsites“, weil amerikanische Studenten die Seite in ihre Accounts gespiegelt hatten – der Meinungsfreiheit wegen. THOMAS PFEIFFER

Thomas.Pfeiffer-2@ruhr-uni-bochum.de

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