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Der neue Mensch kommt aus dem Reagenzglas

Mediziner erhoffen sich durch das Klonen embryonaler Stammzellen die Heilung von Krankheiten, Kritiker befürchten die menschliche Dolly

BERLIN taz ■ Großbritannien soll das erste europäische Land sein, in dem das Klonen embryonaler Stammzellen bis zum 14. Tag zu therapeutischen Zwecken erlaubt sein wird. „Es gibt einen immensen potenziellen Nutzen aus dieser Forschung“, verteidigte Yvette Cooper, Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, die Gesetzesvorlage der Blair-Regierung, „vor allem für jene, die unter schrecklichen chronischen Krankheiten leiden.“ Insbesondere für unheilbare Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Chorea Huntingdon erhoffen sich die Mediziner neue Therapien. Die Stammzellenforschung soll aber auch helfen, zerstörte Körperorgane wieder funktionsfähig zu machen.

Seit Monaten schon wurde in Großbritannien um das Für und Wider der embryonalen Stammzellenforschung heftig gestritten. Bürgerinitiativen gemeinsam mit Lebensschützern und Kirchenvertretern versuchten das Gesetz zu verhindern. „Willentlich menschliches Leben zu schaffen und dann zu zerstören ist entmenschlichend, sowohl für die Wissenschaftler als auch für die Gesellschaft, die das zulässt“, sagte Peter Garrett von der Organisation „Life“. Der britische Ärzteverband British Medical Association (BMA) setzt sich hingegen für eine Gesetzesänderung ein. In einem Brief an alle Abgeordneten forderte der Vorsitzende des BMA, Ian Boggle, die Palamentarier auf, für die Freigabe der Forschung mit embryonalen Stammzellen zu stimmen.

Bisher schon waren in Großbritannien die Gesetze zur Embryonenforschung weitaus freizügiger als in anderen europäischen Staaten. Nach dem „Gesetz zur künstlichen Befruchtung“ von 1990 war es erlaubt, mit bis zu 14 Tagen alten Embryonen zu forschen, aber nur zum Zwecke der Verbesserung der künstlichen Befruchtung. Für die jeweiligen Forschungsprojekte musste eine Genehmigung vorliegen. Mit der jetzt vom Unterhaus beschlossenen Gesetzesänderung dürfen die Embryonen auch zur Gewinnung von Stammzellen eingesetzt werden. Die embryonalen Stammzellen sind die genetisch wertvollsten Zellen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich noch zu jeder denkbaren Körperzelle entwickeln können. Allerdings sind sie beim erwachsenen Menschen nicht mehr so flexibel wie bei Embryonen. Im Reagenzglas, so hoffen die Mediziner, könnten die embryonalen Zellen dazu stimuliert werden, sich in konkrete Zelltypen zu verwandeln. Diese Zelllinien sollen dann zum Beispiel zur Regenerierung von Organen einsetzt werden.

Noch weiter gehender sind Vorstellungen, die Stammzellen zur Züchtung von genetisch identischem Körpergewebe zum Beispiel eines Patienten zu nutzen. Mit dem teilweise im Tierversuch bereits gelungenen Verfahren soll Erbmaterial eines Patienten in eine zuvor entkernte Eizelle gespritzt werden. Diese reift dann zu einem Embryo heran. Die aus einem frühen Entwicklungsstadium gewonnenen, noch voll entwicklungsfähigen Stammzellen können dann zur Regenerierung von krankem Gewebe oder gar, so zumindest ist die Hoffnung, zum Ersatz von ganzen Organen genutzt werden. Die Technik für dieses Verfahren wurde zum ersten Mal am Klonschaf Dolly ausprobiert.

Ausdrücklich untersagt ist in Großbritannien auch nach dem neuen Gesetz das Klonen von Menschen. Die Embryonalentwicklung muss spätestens nach 14 Tagen abgebrochen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen also die so heiß begehrten Stammzellen aus den Embryonen gewonnen werden.

Kritiker der Gesetzesänderung befürchten jedoch, dass dies nur der Türöffner sein wird für die Menschenzüchtung. Denn wenn diese Technik sich erst einmal als beherrschbar erweist, wird der Druck zunehmen, die Barrieren noch weiter einzureißen – zum Wohle der Menschheit. WOLFGANG LÖHR

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