: Wurst gegessen – Krise nicht
Gesundheitsministerin Fischer einigt sich mit der Fleischindustrie darauf, riskante Produkte zurückzurufen. Das meiste ist längst verkauft
von THORSTEN DENKLER
Katzen können BSE kriegen, und Bundeswehrsoldaten dürfen weiter Wurst essen. Das meldeten gestern die Nachrichtenagenturen, während die BSE-Krise einen neuen Höhepunkt erreichte. Aber keine Sorge: BSE-Katzen können dem Menschen angeblich nicht gefährlich werden, und auch Bundeswehrsoldaten müssen nicht alles essen, was auf den Tisch kommt. Die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer hätte es wohl gern gesehen, wenn es bei diesen Meldungen geblieben wäre. Stattdessen musste sie sich mit einer erneuten Forderung des EU-Kommissars für Verbraucherschutz, David Byrne, auseinandersetzen.
Der hatte gestern per Pressemitteilung die Bundesregierung aufgefordert, weltweit alle BSE-gefährdeten Wurstwaren aus deutscher Herstellung zurückzurufen. Er begründete dies mit der Aufforderung der Bundesregierung an die deutschen Wursthersteller, möglicherweise BSE-belastete Wurstwaren aus dem Verkehr zu ziehen: „Für alle EU-Staaten und Drittländer müsse Gleiches gelten.“
Erst in der vergangenen Woche hatte er Fischer noch eine ähnlich lautende Empfehlung auf Deutschland bezogen gegeben. Wurst wird meist aus Separatorenfleisch hergestellt. Das sind Fleischreste, die von den Knochen abgeschabt werden, also auch von der Wirbelsäule. Dabei könnte BSE-infiziertes Rückenmark mit dem Separatorenfleisch in Verbindung kommen. Die Verarbeitung von Risikomaterialien wie Rückenmark und Rinderhirn ist seit dem 1. Oktober 2000 europaweit verboten. Vor allem in Koch- und Brühwürsten wird Separatorenfleisch verarbeitet.
Ministerin Fischer wollte auf den Rat von Byrne nicht hören und wies den Vorschlag barsch zurück. Wenige Tage später musste sie sich für ihre Verhalten entschuldigen. Aufgrund neuer Erkenntnisse werde sie eine Eilverordnung erlassen, um möglicherweise BSE-verseuchte Wurst aus den Regalen zu holen, sagte sie Mitte der Woche der Tagesschau. Auch das scheitert wegen rechtlicher Probleme. Gestern nun einigten sich Vertreter des Gesundheitsministeriums, des Bauernverbandes, der Fleischindustrie und des Handels in Berlin auf eine freiwillige Rückrufaktion. Kein Problem, meldete der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie (BVDF) nach dem Treffen. Das ist kein Wunder: Das Problem wird gern als „längst gegessen“ bezeichnet. In den Regalen finden sich nur noch Restbestände der fraglichen Wurstprodukte. Aus Sicht der Bundesregierung hat sie mit dieser Vereinbarung auch der neuen Forderung von EU-Verbraucherkommissar Byrne Rechnung getragen.
Dabei hat die Bundesregierung kaum eine rechtliche Handhabe, die Hersteller zu einem globalen Rückruf ihrer Wurstprodukte zu zwingen. Dafür müsste jede Wurstsorte namentlich in einer Liste aufgeführt werden. Bei der Vielfalt an deutschen Würsten ein schwieriges Unterfangen. Zum einen ist kaum nachzuweisen, welche Bestandteile in welcher Wurst sind. Auf dem Etikett ist jedenfalls nicht ausgewiesen, ob nun Muskel-, Separatorenfleisch oder beides in der Wurst ist.
In der offenen Konfrontation zwischen der EU und der Bundesregierung leistet die CDU Byrne Schützenhilfe. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Repnik, würde Fischer und Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) am liebsten zusammen vor die Tür setzen. Über Fischer sagte er: „Die Dame ist überfordert, die Dame muss zurücktreten.“ Und Funke, dem nachgesagt wird, er habe 1994 als niedersächsischer Landwirtschaftsminister einen BSE-Fall vertuscht, müsse „möglichst bald den Sessel räumen“.
Andrea Fischers Ministerium hat einen Brief der Kulmbacher Bundesforschungsanstalt für Fleischforschung, in dem vor Separatorenfleisch gewarnt wurde, eine Woche unbeachtet liegen gelassen, bevor er der Leitungsebene vorgelegt wurde, wie eine Ministeriumssprecherin bestätigte. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stellte sich nach einem Telefonat mit der Ministerin vor Fischer wie der Präsident eine Fußballsvereins vor seinen erfolglosen Trainer. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye sagte, Schröder habe ihr in dem Gespräch „den Rücken gestärkt“.
Tatsächlich muss es schon unter der Vorgängerregierung im Haus des damaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer zu Pannen gekommen sein. Das gleiche Bundesamt nämlich hat nach eigenen Angaben schon vor vier Jahren auf die Gefahren von BSE in Separatorenfleisch hingewiesen, zwei Jahre bevor Seehofer den Stab an Fischer übergeben musste. Damals wäre es den Politiker „ohne Zeitdruck“ möglich gewesen, etwas zu unternehmen, sagte der Leiter des an der Kulmbacher Bundesanstalt ansässigen Institutes für Mikrobiologie, Manfred Gareis.
Nur einmal konnte Ministerin Fischer gestern kurz aufatmen. Die drei weiteren aus Norddeutschland gemeldeten BSE-Verdachtsfälle konnten zunächst nicht bestätigt werden. Endgültige Gewissheit können aber erst weitere Test bringen.
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