: Unnatürlich geschickt
Kochsendungen sind ein Segen für alle passionierten NichtköchInnen, für hungrige Menschen also wie Jenni Zylka oder Slash, Gitarrist bei den „Guns and Roses“
Slash, der dicklippige, dunkellockige, stoppelige Gitarrist der Radlerhosenrockband „Guns and Roses“, und ich haben etwas gemeinsam. Wir beide lieben Kochsendungen im Fernsehen. Obwohl wir beide nicht kochen können.
Slash pflegt sich nach seinen Auftritten auf den Kingsizebetten seiner Suites zu fläzen, Whiskey zu kippen und beispielsweise „Two Fat Ladies“ zu schauen. Ich gebe ihm Recht: Kochsendungen haben etwas Meditatives. Sogar eine Sendung wie das „Kochduell“ mit Britta von Lojewski auf Vox, obwohl die burschikose Moderatorin sich alle Mühe gibt, durch möglichst viele heisere Sprüche an der Grenze zum guten Geschmack („Spritz! Höhö!“) und einen permanenten Gefaselhintergrund jeglichen Anflug von Relaxtheit verschwinden zu lassen.
Es geht im „Kochduell“ nicht nur um Geschmack, sondern auch um Schnelligkeit, was immer dann pikant ist, wenn etwas zubereitet werden soll, das man langsam und gefühlvoll schlagen muss, genüsslich wie ein Sadist im Dominastudio. Oder vorsichtig, mit angehaltenem Atem unterheben, etwa Eischnee unter eine teigige oder quarkige Mischung, damit die richtig locker und flockig wird. Mmmh.
Das ist der eigentliche Grund für meine und vermutlich auch für Slashs Vorliebe: Im Fernsehen sieht alles immer so lecker aus! Kochsendungen verhalten sich nämlich zur Realität wie Seifenopern zum täglichen Leben. Würde ich je versuchen, eine Tomatenessenz herzustellen, bei der die Paradeiser erst schockgebrüht, dann abgehangen, dann ausgequetscht, dann passiert werden müssen (oder so ähnlich, ich kann’s halt nicht), käme zum Schluss einfach nur etwas Matschiges, Rotes in einer schmutzigen Küche heraus.
Nicht so bei TV-Tomaten. Die werden in jeden weiteren Arbeitsschritt einfach hereingezaubert, abrakadabra, der oder die KochmasterIn sagt: „Wir haben das schon mal vorbereitet“, nimmt einen neuen Topf mit sanftroter Mousse darin, und schon sind die Tomaten passiert. Tja, so könnte ich das auch!
Mein Initiationserlebnis mit Kochsendungen hatte ich bei einem USA-Aufenthalt. Ich zappte über die Millionen Kanäle und blieb beim Food Channel hängen, auf dem gerade jemand eine fantastisch aussehende, sahnig-schokoladige und nougatige Masse anrührte, aus der er, so viel verstand ich, später Pralinen machen wollte. Die Masse knüllte er fachmännisch zu kleinen Kugeln, schob diese ins Eisfach, zauberte uns mit einem Fernsehtrick ein paar Stunden in die Zukunft – und schon waren die Kugeln gefroren.
Dann rollte er sie in einer Art Teig und panierte die Eiskugeln tatsächlich kurz in kochendem Fett. Sabbernd zogen sich meine Lefzen hoch. Innen Eis, außen fettig und heiß! Das wird sein, was die Götter im Olymp naschen. Ob das je einer nachmachen könnte? Den möchte ich mal sehen beziehungsweise heiraten.
In deutschen Kochsendungen werden allerdings meist weniger aufwendige Dinge gekocht. Vor allem in ostdeutschen: Unvergesslich das Kochpärchen im MDR, das bevorzugt Maggitütenzwiebelsuppen oder unprätentiös eine ganze Schachtel des „neuen Brotaufstrichs“ Brunch verarbeitete. Und natürlich erinnere ich mich gerne an die legendäre „Alfredissimo“-Sendung, in der Blixa Bargeld Bio gezeigt hat, wie man aus fünfhundert Gramm Koks und einer Prise Salz einen ganz, ganz fantastischen Auflauf machen kann (ich schreibe mir die Rezepte nie auf, die Zutatenliste in meiner Erinnerung mag ein wenig von der Realität abweichen).
Aber „Alfredissimo“ oder auch die zahlreichen, neuen Comedykochformate („Echt scharf!“, „Barilla Comedy Küche“) sind mir eigentlich nichts. Da wird zu sehr vom Kochen abgelenkt.
Am schönsten sind altmodische Formate, in denen beleibte Männer oder knautschgesichtige Frauen mit lustigen Akzenten vor sich hin köcheln, mit beeindruckend leichter Hand Gemüse schnippeln, Pfannkuchen wenden, mit dicken Fingern kleine Blätter als Deko auf Tellern anordnen und eventuelle Spritzer der Sauce mit der Schürze wegputzen. „Genießen auf gut deutsch“ beispielsweise oder die Kochecke im ARD-Buffet.
Andere Menschen werden davon gewiss inspiriert, Slash und ich dagegen schauen einfach nur träge zu und erfreuen uns an den appetitlichen Farben, den unrealistischen Zutaten (pralle Äpfel, mageres Fleisch, taufeuchte Strauchbeeren), der unnatürlichen Geschicklichkeit der Köche, der sauberen Umgebung. Wir brauchen nicht mal eine Dunstabzugshaube – es stinkt nur im Studio, nicht bei uns.
Danach hat sich jede Menge Spucke im Mund gesammelt. Zeit, sich zu überlegen, was man heute essen möchte. Slash ruft jetzt einfach beim Hotelservice an und bestellt irgendetwas Exklusives, karamellisierte Chicoréescheiben an Wachtelkeule und eine Crème brûlée etwa. Ich rufe beim besten Freund und Nachbarn an und frage, was er gerade kocht und wie viel. Denn der schaut nie Kochsendungen, sondern kocht lieber selber. Praktisch. JENNI ZYLKA
Die Autorin, 31, mag am liebsten Nachtisch
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