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Dieses Jahr hat uns hart gemacht

Er gehörte zur SS unter den Hunden. Harro von S. blickt zurück – durch den Maulkorb. Vom Hündischen ins Deutsche gebracht von Klaus Nothnagel

„In Düsseldorf demonstrieren Menschen mit Plakaten, auf denen welche von uns mit Davidsternen zu sehen sind. Jawohl! Genauso ist es! Die Juden des Tierreiches sind wir! Man will uns ausrotten!“

Eins der Aufregerthemen des Jahres 2000: Der Kampfhund und was aus ihm werden soll. Die taz lässt endlich einen, nein: den Betroffenen selbst zu Wort kommen: einen Kampfhund. Harro von S., seines Zeichens Bullterrier und wohnhaft in Berlin-Charlottenburg, Stuttgarter Platz, blickt auf das schwierige Kampfhundjahr 2000 zurück.

Jahreswechsel 1999/2000

Wir gingen gut gelaunt ins neue Jahr, Herrchen und ich. Feuerwerk. Während Pinscher, Terrier und Pekinesen sich aus Angst unter dem nadelnden Christbaumkadaver oder im Schrank verkrochen, stand unsereins stramm im mitternächtlichen Geschützdonner und nahm von Herrchen die Jahreslosung 2000 entgegen: „Führer befiehl, wir beißen!“ Wo Herrchen nur immer die Supersprüche hernimmt!

Winter

Erst war noch alles klasse. Was hamwer in den Schnee geschissen! Man sieht ja nix! Einfach bisschen von dem vergammelten Drecksschneepamps drüber, der immer am Straßenrand liegt – und fertig ist der Braten! Und dann mit Herrchen am Fenster sitzen, warten bis einer reinlatscht und flucht! Das nenn ich Spaß! – Herrchen geht mit mir zu meinem ersten Pitbullkampf. Leider bin ich nur als Zuschauer dabei. Um mich lauter stattliche Männer mit Schnauzbart und Goldkettchen, genau wie Herrchen. Blut und Bier strömen.

Frühling

Die ganze Stadt diskutiert wieder. Jetzt wo der Schnee weg ist: Was es für ein Schweinkram ist mit der Kacke. Die man jetzt plötzlich wieder sieht.

18. Mai

In Köln greift ein Kamerad eine einkaufende Hausfrau an. Als er gerade herzhaft zubeißt, stürmt eine Hausfrau, die alles vom Fenster aus beobachtet hat, auf die Straße und geht mit dem Schrubber auf den Kameraden Pitbull los. Er kämpft weiter; aber die Frau erwischt ihn am Halsband und dreht dieses so lange zu, bis der Kamerad erstickt. Die Menschen verrohen doch immer mehr! Bei der Beerdigung heult ein Mastino sehr schön und rührend „Ich hatt einen Kameraaaden.“ Am Grab grüßen einige Herrchens sehr schön mit ausgestrecktem Arm – sicher eine Art Hundetrainergruß!

Anfang Juni

Ich muss zum Idiotentest. Sie wollen mich reizen, mit Kinderwagen, Autos, Besoffenen und so. Wenn ich in den Kinderwagen beiße, weil ich nervös bin, falle ich durch. Dann knipsen sie mir die Lichter aus! Zähnfletschen bringt auch schon Minuspunkte. Scheiße, wie man sich da verstellen muss! Die Menschen werfen sich zum Beispiel ein Laken über, blasen in eine Tröte und springen herum, dass es nur so zum Zähnehineinschlagen ist – und da soll man nicht nervös werden! Sie versuchen auch, uns in Gemeinschaftszwingern zu halten! Gemeinschaftszwinger! Zwei Kumpels in Hamburg haben die Schwächlinge, die mit im Zwinger waren, gleich sauber zerlegt: Rumpf, Läufe, Rute – alles kreuz und quer im Zwinger verstreut. Wünschte, ich wäre dabei gewesen! Manche Tierschützer fordern, dass diejenigen von uns, die durch solche Tests fallen, sterilisiert werden! Kuckmalan, wer hätte das gedacht! Grelle Maßnahme! Unerwünschte Rasse wird ratzfatz zeugungsunfähig gemacht! Imponierend irgendwie! Besser als das alberne Liberallala und die ewige Zögerei jedenfalls. So weiß unsereins wenigstens, was bei Niederlage droht!

26. Juni

Einer aus unseren Kampfstaffeln, ein besonders schneidiger Pitbullbursche, beißt in Hamburg-Wilhelmsburg ein sechsjähriges Kind namens Volkan tot! Geil!! Jetzt gehts lo-hoos! Ob Welpe, Türkenbalg oder Jude – wir zerreißen alles, wo kein reinrassiges Pitbull-, Mastino- oder Staffordshireblut drin rauscht. Obwohl: Manchmal machen wir sogar die eigenen Kameraden tot! Nämlich wenn sie schwächer sind als wir. Muss sein.

Ende Juni

Jetzt wird’s plötzlich eng für uns. Dabei lief es bisher ganz gut: Zwischen 6.000 und 10.000 von uns hat man allein in Berlin geschätzt. „Von uns“ heißt: Pitbulls, Bullterrier, Staffordshireterrier, Bullmastiffs, Tosa Inus, Fila Brasileiros und Mastiffs. In Berlin haben viele von uns bisher ohne Hundemarke, also richtig illegal, in kleinen Wohnungen gelebt. Das unterdrückt schon das Bewegungsbedürfnis, wenn Sie verstehen! Wenn Sie ewig in einer kleinen Bude hocken müssten, da würden Sie doch irgendwann auch gern mal was reißen, oder?

1. Juli

In der taz schreibt eine Leserbriefschreiberin, man soll nicht immer bloß auf uns herumhacken wegen der paar kaputtgegangenen Kinder, sondern man soll die Autos abschaffen und so weiter, weil durch Autos viel mehr Kinder hingemacht worden sind als von uns. Find ich gut. Autos abschaffen, aber wir dürfen weitermachen wie gehabt – das wär so meine Idee! Für die Kinder ist es auch viel besser, wenn sie nicht durch Autos zu Tode kommen, sondern durch uns: so hat das Großstadtkind wengistens gegen Lebensende mal einen intensiven Kontakt zum Tier!

27. Juli

In Berlin finden sie in der Havel einen Pit mit Schlinge um den Hals. Was am anderen Ende des Seils war, weiß man noch nicht. Steinchen? Bleigewichtchen? Herrchen? Am besten machen sie uns gleich alle tot. Mit Herrchens. Sehr deprimiert. Wuff.

Juli / August

In ganz Deutschland machen sie haufenweise Gesetze gegen uns. Wenn man von Flensburg nach Bad Tölz fährt, sagt Herrchen, überquert man jede Menge Ländergrenzen, und immer gelten andere Bestimmungen – so können wir vielleicht am Ende doch wieder einigermaßen machen, was wir und unsere Herrchens wollen. Besonders doof: In Brandenburg müssen die Herrchens eine Art Führerschein für Hundebesitzer machen. Wenn sie wegen „Zuhälterei“ vorbestraft sind, dürfen sie keinen von uns mehr halten. Also „Zuhälterei“ – wenn ich das schon höre! Wieso ist denn bei den Menschen, die doch sonst jeden Dreck mitmachen, ausgerechnet der Handel mit Menschen verboten?

Anfang August

Herrchen lacht sich krumm. Die Politiker haben in ihren hastigen neuen Gesetzen geschrieben, dass die Rasse Liptak gefährlich ist. Die sind aber längst ausgestorben! Jaul! – In Berlin gibt’s leider gar nichts zu lachen: Beinahe 150 Kameraden haben sie verhaftet, hauptsächlich Pits und Staffordshires natürlich! Ordnungswidrigkeiten werden verfolgt, 201 Mal Laufen ohne Maulkorb und so. Wegen uns hat es 947 Funkwageneinsätze gegeben! Schon klasse, so wichtig zu sein! Einem Polizisten wurden von einem heldenhaften Herrchen zwei Zähne ausgeschlagen! Gibt doch noch echte Kerle! Aber 1.717 von uns sind freiwillig von den Herrchens beim Staat angemeldet worden! Arschkriecher das! Mein Herrchen sagt, wir gehen in den Untergrund!

Mitte August

Herrchen ist in Geberlaune. Er schmeißt mir ein ganzes lebendes Huhn hin – voll lecker. Aber nicht ganz leicht zu fressen, wegen der vielen fusseligen Federn! Herrchen sagt: Die Gesetze werden erst besser, wenn ordentliche Geschäftsleute die Gesetze selber beeinflussen können, wie in Russland. Herrchen findet es blöd, dass sich die Deutschen so anstellen, nur weil er Frauen kauft und verkauft. Vielleicht sollten wir in Russland leben. Auch wegen der Hundekämpfe da. Und weil die nationalen Kräfte da viel stärker sind als hier!

Spätsommer

In Düsseldorf demonstrieren Menschen mit Plakaten, auf denen welche von uns mit Davidsternen zu sehen sind. Jawohl! Genau so ist es! Die Juden des Tierreichs sind wir! Man will uns ausrotten! Was haben wir denn getan? Paul Spiegel, der Präsident der Juden, lässt prüfen, ob er wegen der Davidsterne Strafanzeige gegen die Demonstranten stellen will. Muss wohl auch mal gebissen werden der Mann. Toll, dass wenigstens schon wieder die eine oder andere Synagoge brennt im Jahr 2000! Wenn Herrchen mir doch nur erlauben würde, die Feuerwehrleute im Einsatz anzufallen!

10. September

Tierschutzgottesdienst in Dortmund. Endlich! Man betet für uns! Hat nicht schon Jesus Christus seinerzeit gesagt „Wenn du gebissen wirst, dann halte auch das andere Bein noch hin“?

21. Dezember

Der Bundestag berät über uns! Einfuhr und Zucht von besonders aggressiven Hunderassen werden verboten! Mit den Stimmen von Koalition und Union! Das wäre nie passiert, wenn genug von den nationalen Kräften im Bundestag wären! Kleiner Trost immerhin: Im Prozess wegen dem toten Volkan da, in Hamburg, sagt das 24-jährige Herrchen „ohne ein Wort des Bedauerns“ vor Gericht aus. Nach den neuen Gesetzen jetzt wird es wohl so kommen, wie Herrchen immer sagt: „Dann müssen wir eben Rottweiler, Dobermänner, Schäferhunde oder sonstwas scharf machen. Etwas Scharfes braucht der Mensch!“ Nur schade für uns. Da werden wir wohl aussterben. Herrchen sagt immer: „An euch wird man noch lange denken. Ihr wart die SS unter den Hunden!“ Cool!

Jahresende

Obwohl es so ein Kackjahr war, darf ich im Rückblick doch sagen: Dies alles durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen hündischer Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht.

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