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Pflugscharen zu Schwertern

Bauernverband weist Kanzlerkritik harsch zurück. BSE-Verdacht bei vier weiteren Rindern. Fraktionschefin Müller als Nachfolgerin für Künast im grünen Parteivorstand im Gespräch

BERLIN taz/rtr/dpa ■ Markige Worte zwischen Bundesregierung und Deutschem Bauernverband beherrschten gestern den Tag 1 nach der Nominierung der grünen Parteichefin Renate Künast als zukünftige Ministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Der Chef des Deutschen Bauernverbands (DBV), Gerd Sonnleitner, wies die Kritik von Bundeskanzler Schröder mit scharfen Worten zurück. Schröder habe seine Äußerung, der Einfluss der Bauernlobby werde zurückgehen, offensichtlich unter dem Stress der Regierungsumbildung gemacht, sagte Sonnleitner. „Dem Kanzler sind ein paar Minister abhanden gekommen, weitere sind gefährdet.“ Schröder dagegen legte noch einmal nach: Das „Geschrei von Verbandsfunktionären ist nicht mein Problem.“

Gleichzeitig signalisierten DBV und Regierung aber, an einer wirklichen Konfrontation habe niemand Interesse. Sonnleitner lobte die designierte Ministerin Künast als „tüchtige und lernfähige Frau“ und Pragmatikerin, die im DBV beim Verbraucherschutz „einen Verbündeten“ habe. Künast wiederum erklärte, sie gehe von einem „kooperativen Verhältnis“ zum DBV aus und wolle die Bauern mit „freundlichem Nachdruck“ zu anderem Produktionsverhalten drängen. Ökologisch wirtschaftende Betriebe sollten prämiert werden, auch über die Umschichtung von EU-Subventionen müsse geredet werden.

Im taz-Interview erteilte Sonnleitner den Ideen einer Umgestaltung der Landwirtschaft eine Absage. „Erst muss das Problem BSE gelöst werden, dann können wir über andere Strukturen nachdenken.“ Vor allem habe die Vergabe von Agrarsubventionen mit BSE und den Versäumnissen im Verbraucherschutz nichts zu tun. Einen Rücktritlehnte der Chef der Bauernschaft weiterhin ab.

Inzwischen wurden vier neue Verdachtsfälle von Rindern mit BSE bekannt. In Schleswig-Holstein kamen erstmals in Deutschland zwei Kühe einer Herde unter Verdacht. Weitere Verdachtsfälle gab es in Schleswig-Holstein und Hessen. Nach Angaben der Centralen Marketinggesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft (CMA) wurde seit Ende letzten Jahres 60 Prozent weniger Rindfleisch gegessen.

Bei den Grünen haben die Spekulation um eine Nachfolgerin für die ins Agrarministerium wechselnde Parteichefin Renate Künast begonnen. Nach Informationen der taz sind unter anderem auch die Fraktionschefin Kerstin Müller und die frühere sachsen-anhaltische Landeschefin Undine Kurth im Gespräch. Müller müsste jedoch im Falle einer Kandidatur ihr Bundestagsmandat abgeben. Die zurückgetretene Gesundheitsministerin Andrea Fischer sagte gestern ebenso ab wie die frühere Bundesvorsitzende Antje Radcke und die bayerische Landesvorsitzende Margarete Bause. Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, Barbara Steffens, sagte aus familiären Gründen ab. Sie habe eine 6-jährige Tochter, die dieses Jahr eingeschult werde. Wer sich für den Vorsitz der Bundespartei entscheide, müsse „dies auch mit seiner Lebensplanung in Einklang bringen“. Der hessische Landeschef Hubert Kleinert wandte sich in der taz dagegen, bei den Grünen erneut eine Diskussion um die Trennung von Amt und Mandat zu beginnen. „Wir in Hessen werden eine solche Diskussion ganz sicher nicht anzetteln.“ Es gebe „weitaus wichtigere Aufgaben“. Eine sei, die neue Ministerin Künast „in ihrem schwierigen Amt zu stützen“, sagte Kleinert, der dem realpolitischen Flügel angehört und ein politischer Weggefährte von Außenminister Joschka Fischer ist. BPO/SEV/J.K.

interview SEITE 3, brennpunkt SEITE 4,kommentar SEITE 11

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