piwik no script img

Gejammer im Nebel

120 Neonazis bekamen kalte Füße, 2000 ElmshornerInnen demonstrierten gegen die Rechten  ■ Von Peter Müller und Andreas Speit

Das Marschieren der Neonazis in Elmshorn hatte die Ordnungsbehörde zwar nicht erlaubt – doch um den Auf- und Abmarsch „ohne Uniform und Springerstiefel“ der rund 120 „Freien Nationalisten“ um den Neonazi Christian Worch als „stationäre Kundgebung“ zu ermöglichen, legten sich die von Worch beschimpften „Systembehörden“ mächtig ins Zeug. 1200 Polizisten boten sie auf, um den braunen Mob vor 2000 aufgebrachten ElmshornerInnen zu schützen.

Mit drei abgeklebten Verkehrsbussen und der Aufschrift „Sonderfahrt“ – eskortiert von einer Spezialeinheit – fuhren die Rechten am Samstagmittag im Elmshorner Stadtteil Hainholtz auf. Die Polizei borgte ihnen Funkgeräte, um die Busse zu dirigieren. Kaum ausgestiegen wurde es aber trostlos für sie. Auf einer abgelegenen Straßenkreuzung mussten die Rechten im Nebel die Reden ihres „Vordenkers“ Worch aus Hamburg ertragen.

Während Worch über das gerichtliche Verbot des Marsches stundenlang lamentierte – „Ich werde irgendwann das Recht durchsetzen, dass wir in Elmshorn marschieren können“ – hatten sich zwei Kilometer entfernt an der Nikolaikirche die GegendemonstrantInnen zusammengefunden. Bei der Kundgebung sprach sich IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Rohde für ein konsequentes Vorgehen gegen Rechte aus. „Wenn Rechtsradikale und Neonazis sich anmaßen, mit Hass und Gewalt Fremde, Schwache und Anderskende zu verfolgen, dann geht es um die Grundwerte der Gesellschaft.“ Etwa 100 Antifa-AktivistInnen gelang es wenig später zwar, eine Absperrung zu durchbrechen, dennoch konnte die Polizei ein Aufeinandertreffen mit Rechten verhindern. 50 Antifas wurden festgenommen, 40 Platzverweise erteilt.

So blieben die Neonazis unter sich und sich selbst überlassen: „Wir haben das Recht die Meinung zu äußern, aber sie kann niemand erreichen“, wettert Worch: „Dagegen werden wir politisch Widerstand leisten.“ Er kündigte weitere Aufmärsche in Elmshorn an. In seinem ausschweifenden Lamentieren bot er sogar dem Elmshorner IG Metall-Chef Uwe Zabel und der SPD-Bürgermeisterin Brigitte Fronzek, die er sonst wegen Kumpanei mit „militanten Antifaschos“ angreift, den Schulterschluss an: Schließlich seien sie auch „Deutsche“ und daher gelte auch für sie die „Freiheit des Andersdenkenden“ – anders als für Ausländer. Selbst den hartgesottenen Neonazikadern Klemens Otto, Jan-Steffen Holthusen, Torben Klebe und Saschas Bothe wurde deratiges Gerede offenbar zu langweilig. Sie konzentrierten sich lieber auf die Observation und Identifikation von JournalistInnen.

Nur die Durchhalteparolen des wegen Tötungsversuchen vorbestraften Peter Borchert konnte die Menge erwärmen, „auch wenn wir uns hier den Arsch abfrieren müssen“. Borchert betritt – was keiner behauptet –, dass die Rechten den Kampf um die Straße in der Kleinstadt mit antitfaschistischer Tradition bereits gewonnen hätten. Borchert: „Wenn Elmshorn tatsächlich eine Neonazihochburg wäre, gäbe es mehr Straftaten, und es würden Asylantenheime brennen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen