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Randfigur im eigenen Prozess

Morgen muss Joschka Fischer im Frankfurter Opec-Prozess aussagen. Bei all dem Rummel um den Außenminister gerät der Angeklagte Hans-Joachim Klein fast in Vergessenheit. Eine Strafmilderung durch die Kronzeugenregelung ist weiter fraglich

von HEIDE PLATEN

Einhundert Kamerateams aus aller Welt haben sich beim Frankfurter Landgericht zum Opec-Prozess angemeldet. Nicht um Anteil am Schicksal des wegen dreifachen Mordes angeklagten Hans-Joachim Klein (53) zu nehmen, sondern um einen eher nebensächlichen Zeugen zu filmen. Bundesaußenminister Joschka Fischer soll morgen ab 9.30 Uhr über seine Zeit mit seinem ehemaligen Weggefährten Klein im Frankfurter Häuserkampf Anfang der 70er-Jahre berichten und darüber, ob er zu den 40 bis 50 „Jemanden“ gehörte, die Klein ab 1977 nach seinem Ausstieg aus dem Terrorismus im Untergrund unterstützten.

Der Vorsitzende Richter der 21. Großen Strafkammer, Heinrich Gehrke, kommentierte den Rummel im Vorfeld als vergeblichen Versuch, Normalität herzustellen: „Ich vernehme hier keinen Außenminister, sondern einen Herrn Fischer.“ Er versucht mühsam zu ergründen, ob Klein zum Terroristen wurde, weil er ab Mitte der 70er-Jahre von den von ihm bewunderten Sponti-Wortführern enttäuscht war und sie an Radikalität übertreffen wollte. Der Prozess gegen Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler aber dreht sich schon seit Wochen nicht mehr um den Hauptangeklagten Klein. Der kam nur an den ersten beiden Tagen zu Wort, haspelte aufgeregt über seine Zeit in der Frankfurter Spontiszene vor 1975, bevor er, von den Revolutionären Zellen (RZ) angeheuert, im Dezember 1975 zusammen mit dem Topterroristen Carlos in Wien die Konferenz Erdöl exportierender Länder (Opec) stürmte. Drei Menschen wurden erschossen, insgesamt 70 Geiseln entführt, darunter elf Minister.

War Kleins Redefluss anfangs von der Verteidigung kaum zu bremsen, verfiel ihr Mandant dann nach einem Herzanfall in Schweigen, fast in Agonie. Zusammengekrümmt sitzt er seither auf der Anklagebank, starrt mit gesenktem Kopf auf seine Hände, beugt den Nacken, als böte er sich dem Henker dar. Seltsam passiv wirken auch die Verteidiger, der renommierte Frankfurter Rechtsanwalt Eberhard Kempf und seine Kollegin Eva Dannenfeld. Es scheint, als seien die beiden nicht kompatibel mit ihrem sperrigen, emotionalen Mandanten. Freunde, die Klein 23 Jahre lang im französischen Untergrund unterstützten, hatten es auch nicht leicht mit ihm. Manchmal schien es, als habe ihn das Attentat, bei dem er durch einen Bauchschuss verletzt wurde, und seine Zeit bei der RZ im Jemen an den Rand seiner Wahrnehmung geschoben.

Klein ist im eigenen Prozess zur Randfigur geworden. Das öffentliche Interesse richtet sich auf prominente Zeugen, ehemalige Weggefährten von Klein aus der Frankfurter Spontizeit wie den grünen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit, den Kabarettisten Matthias Beltz und jetzt eben Jooschka Fischer. Selbst die Anklage scheint das Interesse an ihm verloren zu haben. Sie konzentriert sich auf den Mitangeklagten Rudolf Schindler (57) und versucht, den Verdacht zu erhärten, dieser sei nicht nur an der Vorbereitung des Opec-Attentates beteiligt gewesen, sondern habe auch 1981 den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry (FDP) erschossen – ein ungeklärter Fall, dessen späte Lösung der Frankfurter Staatsanwalt Volker Rath sich zur Aufgabe gemacht hat. Schindler, der zu denen gehörte, die Klein für die RZ rekrutierten, wirkt im Vergleich zu Klein locker, lässig, hellwach. Er bestreitet die Mittäterschaft und schweigt zu den Vorwürfen.

Kein Klein-Prozess also, sondern eher einer gegen Schindler, ein nochmaliges Ermittlungsverfahren im Fall Karry und seit einigen Wochen auch öffentliche Abrechnung mit der Vergangenheit von Joschka Fischer. Und verloren zwischen so vielen anderen Interessen Hans-Joachim Klein, der auf die möglicherweise lange Haftstrafe mit dem Rückzug in sich selbst reagiert.

Ob Richter Gehrke die Kronzeugenregelung anwenden wird, weil Klein nach langem Zögern Rudolf Schindler als Mittäter nannte, ist ungewiss. Dass Klein 1977 bei seinem Ausstieg aus der RZ deren Attentatspläne gegen zwei Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Deutschland offenlegte, könnte ebenfalls strafmildernd gewertet werden, obwohl er damals keine Namen nannte, weil er nicht zum „Verräter“ werden wollte.

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