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Bombenstimmung in den Discos

■ Heute Prozessbeginn gegen Attentäter, der im April in der Diskothek „J's“ mit einer Handgranate zehn Menschen verletzte

Nicht das Ausgehen am Wochenende, sondern das Tragen von Waffen solle zu einem „unkalkulierbaren Risiko“ werden, hatte der Chef des Hamburger Landeskriminalamtes Gerhard Müller nach einer Serie von Gewalttaten in Diskotheken vorigen Sommer angekündigt. Die Polizei reagierte mit stichprobenartigen Razzien vor Diskotheken auf mehrere Schießereien und den Handgranaten-Anschlag auf das „J's“ im Bunker an der Feldstraße am 29. April 2000.

Neun Monate später muss sich der damalige Attentäter Cüneyt D. ab heute vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Die Anklage lautet auf versuchten Mord, Auslösen einer Sprengstoffexplosion, gefährliche Körperverletzung, Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und Drogenhandel. Cüneyt D. droht eine lebenslängliche Haftstrafe.

Fest steht bisher allein, dass er der Attentäter war. Denn das hat der 29-Jährige gestanden. Sein Motiv hingegen ist nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft wollte darüber vor Prozessbeginn nichts sagen. Bei seinen ersten polizeilichen Vernehmungen hatte Cüneyt D. angedeutet, „auf Druck von Hintermännern“ gehandelt zu haben.

Der Angeklagte, gegen den die Polizei zuvor in anderen Fällen bereits 33 Mal ermittelt hatte, hatte im Polster eines Sofas des VIP-Bereiches der Diskothek eine jugoslawische Splittergranate versteckt. Bei der Explosion waren zehn Menschen durch die umherfliegenden Stahlkugeln verletzt worden – zum Teil lebensgefährlich. Einige verfolgen nun als NebenklägerInnen den Prozess.

Zunächst war spekuliert worden, dass der Anschlag gezielt prominente BesucherInnen treffen sollte. Dann ging die Polizei davon aus, dass der arbeitslose Elektro-Installateur aus Rache gehandelt hatte. Eine Woche vor dem Anschlag hatte es im J's eine Schlägerei gegeben, an der Cüneyt D. beteiligt gewesen sein soll. Zusammen mit drei Bekannten sei er dabei einem Mitglied der „Hell's Angels“ unterlegen gewesen. Bei dem Streit, so die Mutmaßungen, sei es um die Vorherrschaft im Drogenhandel gegangen.

Die Polizeiführung hatte nach dem Anschlag angeordnet, dass die örtlichen Revierdienststellen die Sicherheit in allen Diskotheken ihres Bezirkes überprüfen sollten. Im Februar 1999 waren bei einer Schießerei vor dem Wandsbeker „Check Inn“ zwei Männer gestorben. Im März erschoss ein 24-Jähriger vor der Disko „Saray en Joy“ einen Mann. Im April schoss ein Jugendlicher in der „East Side Lobby“ auf einen anderen, weil der ihm beim Tanzen auf den Fuß getreten war. Elke Spanner

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