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Drei Senatoren in einem Boot

Trotz Rücktrittsforderung wegen der Flucht aus dem Maßregelvollzug: Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) darf im Amt bleiben. Denn auch Innensenator Eckart Werthebach und Justizsenator Eberhard Diepgen handelten nicht

von RALPH BOLLMANN

Gabriele Schöttler (SPD) darf bleiben. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) nahm Schöttler gestern gegen Rücktrittsforderungen aus der Union in Schutz. Entsprechende Äußerungen des CDU-Generalsekretärs Ingo Schmitt seien „Quatsch“, sagte Diepgen. Schöttler war in die Kritik geraten, weil sie die Öffentlichkeit über die Flucht des Straftäters Igor P. aus der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik erst mit zwei Tagen Verspätung informiert hatte.

Über den Vorfall waren allerdings auch Polizei und Staatsanwaltschaft im Bilde – Innensenator Eckart Werthebach (CDU) und Justizsenator Diepgen sitzen mit Schöttler also in einem Boot. Weil man aus dem Glashaus schlecht mit Steinen werfen kann, spielte Diepgen die Affäre gestern herunter. Er räumte den „bedauerlichen Fehler“ zwar ein, wies aber jede persönliche Verantwortung weit von sich. Es handele sich um einen „normalen Vorgang, der ausschließlich eine Angelegenheit der unabhängigen Richterschaft ist“.

Innensenator Werthebach ist von der Polizei nach eigener Darstellung nicht über die Flucht informiert worden. Er habe erst durch die Veröffentlichung durch die Gesundheitsverwaltung am Dienstagnachmittag von dem Ausbruch erfahren. Die Polizei habe noch am Sonntag abend alle notwendigen Maßnahmen ergriffen. „Es ist aber nicht die Aufgabe der Polizei, die Öffentlichkeit über solche Vorgänge zu unterrichten“, fügte Werthebach hinzu. Das sei Sache der zuständigen Fachverwaltung, in diesem Fall der Gesundheitssenatorin.

Warum die Polizei sich unmittelbar nach dem Ausbruch nicht für eine öffentliche Fahndung nach dem flüchtigen Insassen entschied, konnte Werthebach nicht sicher sagen. Dabei habe vielleicht eine Rolle gespielt, „dass der Täter gefährlich sein kann, möglicherweise eine Waffe haben kann“. Das Verhalten seiner Senatskollegen Diepgen und Schöttler wollte Werthebach nicht kommentieren.

Einem Missbilligungsantrag der Grünen gegen Schöttler, über den das Abgeordnetenhaus am Abend beriet, wollten die Koalitionsfraktionen CDU und SPD geschlossen ablehnen. Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland bezeichnete Diepgens Rechtfertigung als „wenig erhellend“.

Der Gesundheitsexperte Bernd Köppl wirft der Gesundheitssenatorin vor, sie habe den Ausbruch „vertuschen“ wollen. Ihr sei auch anzulasten, dass sie im vergangenen August auf einen „Hilferuf“ der Klinik nicht reagiert hatte. Damals hatten die Ärzte den Täter als geheilt bezeichnet und wegen der Ausbruchsgefahr die Verlegung in ein gewöhnliches Gefängnis verlangt.

Angesichts der zurückliegenden Debatten über Sexualstraftäter konnte niemand an der Relevanz des Falles zweifeln. In ihrem vertraulichen Bericht an die Senatsverwaltung hatten die behandelnden Ärzte das Feld „Veröffentlichung in den Medien wahrscheinlich“ ebenso angekreuzt wie das Feld, das „in öffentlichkeitswirksamen Fällen“ eine Benachrichtigung der Staatssekretärin vorsieht.

Unklar blieb allerdings auch gestern, wie die Gefährlichkeit des Täters einzuschätzen sei. Während sie in dem ersten Bericht der Ärzte als „mittel“ eingestuft wurde, hieß es in einem Schreiben vom Montag, eine „unmittelbare Gefährdung der Allgemeinheit“ sei „gegenwärtig nicht zu erwarten“.

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