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Nilpferd spielt lange Noppen

Frank Müller ist Manager, Sponsor und Präsident des Tischtennis-Zweitligisten Weitmar-Munscheid. Und wird im heutigen Pokal-Halbfinale mitspielen – ohne Training und mit reichlich Übergewicht

Seit 1990 wurden sechs Beläge verboten, mit denen Müller Gegner piesackte

von HARTMUT METZ

„Elf Weltklassespieler und ich, das wird eine Show“, jauchzt Frank Müller vor dem Final-Four-Turnier im deutschen Tischtennis-Pokal. Der „beste Hobbyspieler Deutschlands“, wie das Magazin deutscher tischtennis sport seinen „Mann des Monats“ vorstellt, erklimmt in Fulda mit der Halbfinal-Teilnahme der TTG Weitmar-Munscheid eine neue Höhe seiner sportlichen Laufbahn. Von Karriere mag der redegewandte 37-Jährige selbst nicht sprechen, gleichwohl er stolz herausposaunt, wohl der einzige Pingpong-Spieler zu sein, der von der Kreisklasse III bis zur zweiten Bundesliga alle Klassen durchlaufen hat. Der steile Aufstieg mit dem Landesligisten Weitmar-Munscheid binnen zehn Jahren ändert indes nichts an der Einschätzung vieler, die meinen, „der Müller kann gar kein Tischtennis spielen“.

Vor allem seine Statur gilt als Beleg für das harte Urteil. „Sieben, acht, zehn, elf Kilogramm habe ich zu viel. Das hängt davon ab, auf welcher Waage ich stehe“, befindet Müller selbst angesichts seiner 82 Kilogramm, die sich auf 1,73 Meter verteilen. Auf die aggressiven Topspins wieselflinker Angriffsspieler reagiert der Spätberufene, der sich erst mit 17 einem Tischtennisverein anschloss, mit, so Müller selbst, „wahnsinnig guten Reaktionen und großem Ballgefühl“.

Damit sich im Spiel aber nicht zu viel Tempo entwickelt, nimmt der Autodidakt mit seinem langen Noppenbelag „Andro Clue“ die Fahrt aus den schnellen Bällen. Seit 1990 hat der Weltverband ITTF sechs Beläge verboten, mit denen Müller seine Gegner piesackte. Der „Andro Clue“ steht ebenfalls auf der Abschussliste der ITTF. Aber rechtzeitig kaufte der Diplomkaufmann die letzten 100 Beläge auf und führt noch 40 im eigenen Lager.

Man hüte sich jedoch davor, aus dem Materialverschleiß auf den Trainingsfleiß des Unikums zu schließen. Der tendiert gegen null. Der umtriebige Sanierer von denkmalgeschützten Altbauten pendelt mit einer an der Tischtennisplatte nie gesehenen Rastlosigkeit zwischen dem Firmensitz im vogtländischen Weischlitz, seinem Wohnort Düsseldorf und Bochum, wo er für die TTG spielt. „Wenn ich auch noch trainieren würde, bekäme ich Ärger mit meiner Frau. Ich könnte die Sonntage schließlich besser verbringen als mit den Mannschaftskämpfen“, äußert Müller nach viermonatiger Trainingsabstinenz, die er wegen des Höhepunktes im Pokal an zwei Abenden durchbrach.

Ohne den bekennenden Selbstdarsteller geht bei der TTG Weitmar-Munscheid seit acht Tagen gar nichts mehr. Als Spieler mag er in der zweiten Bundesliga von bislang elf Partien im Einzel nur vier gewonnen haben, als Manager, Hauptsponsor und Klubpräsident spielt er trotz. „Wer bezahlt, bestimmt die Musik“, lautet das Credo des Mäzens, der zusammen mit der Werbeagentur seiner Gattin Sara Alemi jährlich 150.000 Mark in den Zweitliga-Aufsteiger pumpt. Die Laune des Rheinländers hält zumindest so lange, bis der Tabellenvierte womöglich den Sprung ins Oberhaus schafft. Dann schlösse sich der Kreis von der Kreisklasse III bis Liga eins.

Dass er dort nicht nur die „Hucke“ voll bekäme, bewies er im laufenden Pokal-Wettbewerb. Der Kauz, dem im Internet unter der Rubrik „Noppenhölle“ ein eigenes Forum gewidmet wurde, brillierte gegen den Offenburger Sergej Andrianow mit seinem „Nilpferdschlag“. Nach dem Triumph, den ein markerschütternder Urwaldschrei begleitete, sank Müller auf den Boden nieder und küsste diesen. „So wie der spielt, muss er sich zehnmal das Handgelenk gebrochen haben“, urteilt ein Beobachter. „Die Nummer eins von Nepal soll ähnlich spielen, habe ich gehört“, erklärt Müller indes ungerührt.

Im Viertelfinale zeigten Ding Song und Dimitri Mazunow dem Emporkömmling deutlich die Grenzen auf. Da der englische Spitzenspieler Carl Prean jedoch einen Sahnetag erwischte und Denis Andersson Nationalspieler Torben Wosik in drei Sätzen schlug, schaltete Weitmar-Munscheid das Topteam TTC Frickenhausen mit 3:2 aus. Während im heutigen zweiten Halbfinale der Tabellenerste TTC Grenzau mit dem Rangzweiten TTV Gönnern den späteren Pokalsieger ermitteln dürfte, rechnet sich Müller vier Stunden vorher gegen das Wunschlos TTC Jülich durchaus Chancen aus. „Carl Prean kann jeden schlagen“, baut der Klubchef auf den Ex-Mannschafts-Europameister. Ob er zudem Andersson, die englische Nummer zwei Terry Young oder den belgischen Nationalspieler Marc Closset aufbiete, hänge von der Aufstellung des Kontrahenten ab.

Sicher ist nur, dass der bei den Bochumern auf Position sechs notierte Müller als dritter Akteur an der Platte steht. „Das wird mein größter Auftritt als Hobbyspieler! Verliere ich 4:21 und wir scheiden aus, ist das normal. Kommen wir ins Endspiel und ich hole einen Punkt, bin ich reif fürs Aktuelle Sport-Studio!“ Das scheint ihm noch mehr wert als die zwei Tage, die ihn Sat.1 am Wochenende begleitet; gleichwohl sich der Profilneurotiker brav nach dem Privatsender zu richten gedenkt. „Sagen die, ich soll gegen Jülichs Spitzenmann Saive spielen, mache ich das“, verspricht er, „ich habe gegen jeden eine Chance und werde kämpfen wie ein Verrückter.“

Im Finale am Sonntag erwartet Müller Grenzau als Sieger. Müller träumt allerdings von einem eigenen Duell mit den Nationalspielern aus Gönnern, Timo Boll und Jörg Roßkopf. „Wahrscheinlich würde ich gegen Jörg 21:6, 21:6 verlieren“, glaubt das „Nilpferd mit Noppen“ (Frankfurter Rundschau) und erinnert sich gerne an sein bisher einziges Match gegen den Rekordnationalspieler. Im Partykeller eines Kollegen schlug er den Ex-Europameister, der „ohne seinen gewohnten Schläger auskommen musste“, mit 21:19 im dritten Satz.

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