: Künast lernt das Kühemelken
Die neue Bundeslandwirtschaftsministerin hält es mit der Tradition – zumindest was den ministeriellen Rundgangauf der Grünen Woche angeht. Bauernpräsident Sonnleitner hofft auf „better Future“ und strahlt neben der Neuen
von HEIDE PLATEN
Die kleine rosa Sau quiekt in den höchsten Tönen. Und ehe Renate Künast (Grüne) sich versieht, drückt man ihr das zappelnde Etwas in die Arme. Jetzt bloß nicht fallen lassen. Das Ferkel kreischt. „Sorry“, sagt die neue Ministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) kichert, Bauernpräsident Gerd Sonnleitner strahlt in die Kameras: Ministerin mit Ferkel im Blitzlicht.
Das Tier haut blitzschnell ab, so bald es kann. Die Ministerin hält eisern durch. Vereidigung, Antrittsrede am Vortag, abends die Eröffnung der größten europäischen Leistungsschau von Landwirtschaft und Ernährungsindustrie, der alljährlichen „Grünen Woche“ auf dem Berliner Messegelände am Funkturm. Und nun morgens um acht Uhr der traditionelle Auftaktrundgang durch die Messehallen.
Am Eingang kein Stilbruch für die Neue: Traubensaft und Butter und Brot, alles bio. Gleich dahinter lauern die Bayern mit Milch- und Weinkönigin, Blasmusik und einer riesigen Kuhglocke. Künast haut mit dem Holzhammer drauf, dass es scheppert. Sonnleitner lacht leutselig, weicht ihr nicht von der Seite. Die Ministerin macht alles mit. Eine Mütze auf den Kopf und ein Süppchen bei den Niederländern, trockene Kekse und Kuchen bei den Portugiesen. Die Sänger am Süßwarenstand aus St. Petersburg schmettern wie ums liebe Leben. Und immer wieder Wurst und Schnaps, Schnaps und Wurst und Speckstullen aus der Ukraine. Die Verbindlichkeit hat Grenzen. Keine Wurst, keinen Alkohol! Die Ministerin knabbert hier und da und verlegt sich lieber aufs Schnuppern. Die Grüne Woche ist eine Welt von Gerüchen.
Interessenverbände und Lobbyisten werden mit einem Standardsatz vertröstet. „Wir setzen uns alle an einen Tisch!“ Schweizer Käse, Alphörner, Kerzenständer aus den Karpaten, die Geschenkkörbe werden nach hinten durchgereicht. Manche auch vergessen. Die Franzosen bleiben auf ihren Präsenten sitzen, gucken ratlos. Am finnischen Stand biegt sich das Personal vor Lachen. So viel Aufregung für keine Minute Ministerin! Bulgarien hat mit toten Tieren dekoriert, Jagdtrophäen von Hirschen und Fasanen. Künast blinzelt. Darauf einen ganz kleinen Schluck Wein? Künast stöhnt: „Booah!“ Sie nippt. Das Tablett kippt im Gedränge. Makedonien will befragt sein: „What are the things, you are present here?“ „Wine, food – of all the best.“ Die Guatemalteken haben dieses Selbstbewusstsein nicht, stellen sich der Ministerin aber doch in den Weg. Den grünen Kaffee, verspricht sie, an den Kenner Joschka Fischer weiterzuverschenken.
Wurst und Musik verdichten sich zur unüberschaubaren Gemengelage, verlangen Orientierung, für die der Geruchssinn nicht mehr ausreicht: „Wo ist hier vorne?“ Und da war doch noch was? Die BSE-Witze im Publikum häufen sich. Sonnleitner nimmt beherzt Stellung. Er wird von einem britischen Fernsehteam befragt, spricht von Neuanfang und Chance: „We get forward in a better future.“ Vorerst treibt es den Pulk in Halle 2 zu den bundesdeutschen Gemüsegroß- und -einzelhändlern. Künast betrachtet deutsche Kartoffeln, kostet Ananas aus Bodenhaltung.
Nach dem Ferkel kommen die Kühe. Ein Höhepunkt. Der Kamerapulk gerät außer Rand und Band. Nach zwei Stunden Stampede wird gemeinschaftlich so gerochen wie dahinter. Künast schnuppert, die Kuh auch. Dann hockt die Ministerin im Heu und versucht, das irritierte Rindvieh zu füttern. Eine Begegnung mit Verständigungsschwierigkeiten. Am Stand der Bayern hat Künast keine. BSE, sagt sie, habe auch sein Gutes: „Das ist der Punkt, wo wir die Krise als Chance begreifen können.“ Und: „Wir entwickeln jetzt ein BSE-Sofortprogramm.“ Im Übrigen aber gehe es um eine Erneuerung der Landwirtschaft, um neue Kriterien für deren Subventionierung und um einen „anderen Umgang mit der Natur“. Das gelte für alle: „Jeder hat seine Chance, der Kleine und der Große.“ Auch die Verbraucher seien gefordert und müssten „mehr Qualität“ verlangen. Dann sei sie sicher, dass die 66. Grüne Woche in einem Jahr als Wendepunkt angesehen werden könne.
Sonnleitner strahlt noch immer. Künast ist zufrieden. Sie hat drei Tropfen Milch an der Kunstkuh ermolken und keine Kritik gehört: „Ich bin ganz fröhlich aufgenommen worden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen