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Spontanes Fernbleiben der Arbeit

Im Vauxhall-Werk setzt nicht jeder auf internationale Solidarität: Schließlich gehe es um britische Arbeitsplätze, nicht um ein europäisches Problem

aus Luton RALF SOTSCHECK

Es ist kalt an diesem Morgen, am Vortag hat es geschneit, die riesige Vauxhall-Autofabrik ist im Nebel kaum zu erkennen. Dennoch haben sich tausende von Menschen vor dem Werkstor in Luton bei London versammelt, um gegen die geplante Schließung von Vauxhall zu demonstrieren. General Motors, der größte Automobilkonzern der Welt aus dem US-amerikanischen Detroit, hatte kurz vor Weihnachten aus heiterem Himmel angekündigt, das 95 Jahre alte Zweigwerk im nächsten Jahr dichtzumachen.

2.000 Menschen werden ihren Job verlieren. Mark Summers ist einer von ihnen. „Ich arbeite seit mehr als 30 Jahren bei Vauxhall“, sagt er. „Jetzt bin ich 52, und niemand wird mir einen Job geben, wenn man mich hier hinauswirft.“ Der Vectra, der in Luton hergestellt wird, sei eines der meistgekauften Autos in Großbritannien. „Es macht keinen Sinn, den Laden zu schließen“, sagt Summers. „Es ist anders als bei Rover in Birmingham, die nur Verlust gemacht haben.“ BMW hat im vorigen Jahr den ungeliebten britischen Ableger an ein Belegschaftskonsortium abgegeben, den Landrover an Ford verkauft und nur den neuaufgelegten Mini behalten.

Mit Rentabilität habe die Entscheidung von General Motors nichts zu tun, glaubt auch John Jack, der stellvertretende Vorsitzende vom Europabetriebsrat des US-Konzerns: „Es geht um die Börse. Sie wollen ihre Aktionäre zufriedenstellen, und wir in Großbritannien sind die billigsten Opfer. Wegen der schwachen Gesetzgebung in diesem Land haben wir nicht dieselben Rechte wie unsere europäischen Kollegen, und deshalb kostet es weniger, uns loszuwerden.“ Die britische Regierung blockiert eine EU-Direktive, die Unternehmen zur Konsultation der Belegschaft bei Entlassungen und dem Verkauf von Zweigwerken zwingen würde.

Jack hat sich mit einem gefütterten roten Anorak und einer roten Pudelmütze gegen die Kälte geschützt. Er ist wütend, dass die Belegschaft von der geplanten Schließung aus dem Radio gehört hat. „Normalerweise erfahren wir von wichtigen Entwicklungen durch das mittlere Management bei Vauxhall, aber selbst die waren ahnungslos.“ Jack setzt auf europaweite Protestaktionen, die für kommenden Donnerstag geplant sind. „Wenn General Motors mit Widerstand in allen europäischen Niederlassungen konfrontiert wird, nehmen sie ihre Entscheidung vielleicht zurück“, hofft er, „weil es dann billiger wäre, Vauxhall leben zu lassen.“

Was aber am Donnerstag stattfinden wird, steht noch gar nicht fest. In Luton werden sie jedenfalls an diesem Tag zu Hause bleiben. Jack hofft, dass die ganze Stadt streikt. Aber ein richtiger Streik ist es nicht, denn dafür müsste eine Urabstimmung stattfinden. Die ist jedoch erst für später geplant, wenn es kein anderes Mittel mehr gibt. „Am Donnerstag ist es ein spontanes Fernbleiben von der Arbeit“, sagt Summers. Und das sei legal. In Ellesmere Port, dem zweiten britischen General-Motors-Werk bei Liverpool, wird an dem Tag auch niemand arbeiten. Ob die anderen europäischen Niederlassungen dem Beispiel folgen werden, ist fraglich.

Hans Breker ist skeptisch. Er arbeitet seit 30 Jahren bei Opel in Bochum und ist mit 13 anderen gewerkschaftlichen Vertrauensleuten nach Luton gekommen, um Solidarität zu zeigen. Bei manchem Kollegen stößt das auf Unverständnis. „Was gehe sie Luton an, fragen viele“, sagt Breker. „Jetzt ist es Luton, im nächsten Jahr können wir dran sein. Wir haben in sieben Jahren 7.000 Arbeitsplätze verloren, und nun sollen weitere 700 Jobs gestrichen werden – und noch mal 1.000 in den anderen Werken in Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern.“ Insgesamt will General Motors 6.000 Arbeitsplätze in Europa abbauen.

Die 14 Bochumer sind in der Nacht zuvor mit dem Linienbus nach London gereist, am Abend geht es wieder zurück – alles auf eigene Kosten. „Die IG Metall hat keinen Pfennig dazugegeben, lediglich die roten Gewerkschaftsmützen hat sie uns geschenkt“, sagt Breker. Wenn die anderen europäischen Werke mitziehen, sei Vauxhall zu retten, glaubt er: „Sonst gehen hier die Lichter aus.“

Sein Kollege Paul Fröhlich – „it means happy“, erklärt er den Vauxhall-Männern – ist optimistischer: „Unser Streik im vorigen Jahr hat gezeigt, dass man damit Erfolg haben kann.“ Im Juni legten die Bochumer Opel-Arbeiter für zwei Tage die Arbeit nieder, um die Sozialleistungen und die Einheit der Belegschaft nach dem Verkauf verschiedener Opel-Abteilungen zu bewahren. General Motors gab nach, die Arbeiter in den anderen europäischen Niederlassungen profitierten von dem Streik der Bochumer.

Nicht alle schauen jedoch über den eigenen Tellerrand hinaus. Der alte William hat sich angezogen, als ob er auf die Jagd gehen will: roter Gehrock, schwarze Reitstiefel und ein Zylinder, an den er kleine Union Jacks gesteckt hat. Auf dem Plakat, das er schwenkt, steht: „Britische Jobs für britische Arbeiter.“ Warum man Luton dichtmachen wolle, wenn in anderen Ländern auch nicht profitabler gearbeitet werde, will er wissen. Die Behauptung von General Motors, das hohe Pfund Sterling sei schuld, weil britische Autos zu teuer für den Export wären, hält er für einen Trick der Europäischen Union, um Britannien zum Euro-Beitritt zu zwingen.

Diese Einstellung sei Unfug, sagt Mike Ingram von der Socialist Equality Party. Er wirft auch den Gewerkschaften vor, sich nationalistischer Rhetorik zu bedienen, statt eine internationale Perspektive gegen die globale Offensive der Automobilindustrie zu entwickeln. Gewerkschaftsboss Tony Woodley spreche von einer europäischen Lösung auf britische Kosten. „Die Ankündigung von General Motors hat nichts mit besonderen britischen oder europäischen Umständen zu tun“, sagt Ingram, „sondern mit der weltweiten Krise durch Überproduktion.“

Der Markt in Westeuropa ist zwar in den vergangenen vier Jahren um fast zwei Millionen Wagen gewachsen, aber die Kapazitäten sind zu groß: 21 Millionen Autos könnten gebaut werden, doch tatsächlich sind es nicht mal 15 Millionen. Wegen der hohen Investitionskosten müssen die Fabriken so gut wie ausgelastet sein, um Profit zu machen, argumentieren die Autobauer, eine Überproduktion drücke die Preise. Und wenn die Ausnahmegenehmigung für Automobilhersteller, ihre Produkte nur von Exklusivhändlern verkaufen zu lassen, im nächsten Jahr aufgehoben wird, könnten die Preise ohnehin sinken.

So ordnet sich die Automobilindustrie neu. Ford hat Volvo übernommen, Fiat und General Motors gehen ein Joint venture ein, Daimler fusioniert mit Chrysler nach der Übernahme von Mitsubishi, Renault kauft Nissan, Volkswagen übernimmt Scania. Britische Autofirmen gibt es kaum noch, die Industrie, die 1,8 Millionen Wagen im Jahr produziert, ist fest in ausländischer Hand. Lediglich Sportwagen wie Lotus und Lola sowie der Roadster von Morgan, der aus Aluminium in Handarbeit gefertigt wird, haben noch britische Eigentümer.

John Jack pocht auf den Vertrag, den General Motors unterzeichnet hat, und will ihn vor Gericht einklagen: Der Nachfolger des Auslaufmodells Vectra sollte laut Vertrag ab 2002 in Luton gebaut werden. Doch General Motors weist auf das Kleingedruckte hin: „Sofern es die wirtschaftlichen Bedingungen zulassen.“ Und das tun sie nicht, findet die Konzernführung.

Die Stadt, die nur wegen ihres internationalen Flughafens für Groß-London bekannt ist, unterstützt die Belegschaft. In jedem Schaufenster kleben Solidaritätsplakate, die Lokalpresse ruft zum Protest auf, die Kleingewerbe spenden großzügig in die Demonstrationskasse. Für die Region steht viel auf dem Spiel. Richard Lacy, der Geschäftsführer der Handelskammer von Bedfordshire, schätzt, dass bis zu 50.000 Arbeitsplätze von Vauxhall abhängen: „Die Zahlen sind enorm. Die Zulieferbetriebe und der Servicebereich sind ebenfalls betroffen, die Folgen der Schließung sind niederschmetternd.“

Als sich Vauxhall-Chef Nick Reilly vergangene Woche vor dem Parlamentsausschuss im Rathaus von Luton verantworten musste, schmuggelte man ihn durch die Hintertür hinein, weil sich vor dem Haupteingang eine wütende Menschenmenge versammelt hatte. Reilly sagte klipp und klar, dass er die Anhörung für Zeitverschwendung halte, da die Entscheidung von General Motors feststehe. Die Regierung hat sich bisher zurückgehalten. Premierminister Tony Blair hat lediglich vorgeschlagen, das Werk zwei Jahre einzumotten. Die Belegschaft hat ihn ausgelacht. Anders als bei Rover in Birmingham hat die Regierung eine Finanzhilfe abgelehnt.

Um zwölf Uhr mittags setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Die Gewerkschaften haben mit 20.000 Leuten gerechnet, die Polizei sagt, 10.000 seien gekommen. Es ist jedenfalls die größte Demonstration, die in Luton stattgefunden hat. Neben der Bochumer Delegation nehmen auch Arbeiter aus den General-Motors-Werken in Belgien und Spanien teil. Die Gewerkschaftsbosse und die Lokalpolitiker aller Parteien versprechen auf der Abschlusskundgebung im Zentrum Lutons, alles für den Erhalt von Vauxhall zu tun, wie sie es auch bei den Demonstrationen für das Überleben von Ford in Dagenham und von Rover in Birmingham getan haben.

Mark Summers glaubt ihnen nicht. „Bei Ford haben sie so lange gezögert, zum Streik aufzurufen, bis es zu spät war“, sagt er. „Und jetzt zögern sie wieder, weil Parlamentswahlen vor der Tür stehen und sie Labour nicht bloßstellen wollen.“

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