: Die Vorherrschaft auf dem Wortmarkt
Die Phrase der „national befreiten Zonen“ wurde zum Unwort des Jahres gewählt. Über die semantische und politische Reklamation eines Begriffs
Politischer Streit ist immer auch ein Streit umWortbedeutungen. Wer „besetzt“ welche Begriffe, welche Bezeichnung obsiegt? „DDR“ oder „SBZ“ , „AKW“ oder „KKW“? Wie funktionieren Umdeutungen diffamierender Zuschreibungen, „Schwule“, „Weiber“? Die Jury aus Sprachwissenschaftlern, die das „Unwort“ des Jahres vergibt, funktioniert als kritische Instanz innerhalb einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung, nicht als Zensurbehörde. Sie ist ein soziolinguistisches Notariat.
Diesmal fiel die Wahl auf den Begriff „national befreite Zonen“, den rechte Extremisten für sich reklamieren. Eine glückliche Wahl, lässt sich doch an diesem Begriff der Kampf um Worte demonstrieren. Die befreiten „Zonen“, entstammen ursprünglich der revolutionären linken Theorie. Sie bezeichneten in der maoistischen Volkskriegsstrategie oder bei Che Guevaras Konzeption des revolutionären „Focus“ Territorien, die von den Streitkräften der Partisanen befreit worden sind. Obwohl die Kontrolle über diese Gebiete keineswegs gefestigt ist, werden auf ihnen, quasi im Vorgriff auf den Sieg der Revolution, soziale Errungenschaften durchgesetzt, die „Massen“ an der Verwaltung der befreiten Gebiete beteiligt.
Der Begriff der „Befreiung“ ist stets doppeldeutig. Er hat sowohl militärische wie sozial-emanzipatorische Bedeutung. Weshalb die Idee der „befreiten Gebiete“ auch den linken Studenten der 60er- und 70er-Jahre so sehr zusagte. Erstes befreites Gebiet war für sie die Universität (oder wenigstens ein paar Institute).
In der neonazistischen Version der befreiten Zonen ist jede Spur emanzipatorischen Denkens getilgt. Gemeint sind einfach Gebiete, etwa ein Straßenzug oder eine Disco, in die sich kraft der übermächtigen Präsenz bewaffneter Neonazis keine „Zecke“ (ein Linker) und erst recht niemand mit der falschen Hautfarbe blicken lässt. Diese Terrorherrschaft funktioniert nur, wenn sie sich auf das geheime Einverständnis oder wenigstens die Duldung der einheimischen Bevölkerung verlassen kann. Das war’s aber auch schon. Gefährlich ist dieser Begriff, weil er Furcht verbreitet, den Konformismus der Einwohner verstärkt, Besucher abschreckt, dazu führt, dass sporadische polizeiliche Kontrolle zum einzigen politischen Gegengewicht wird. Antirassistische Aktivisten wie Bernd Wagner haben deshalb wiederholt vor der unkritischen Verwendung des Begriffs, quasi als Terminus technicus, gewarnt.
Dass linke Begriffe durch Rechtsradikale enteignet und umgedeutet werden, hat überhaupt nichts mit einer vorgeblichen Ähnlichkeit in beider Weltanschauungen zu tun, sondern ist Resultat rechtsradikaler gedanklicher (und künstlerischer) Armut, Ausdruck des Versuchs, den völkischen Kollektivismus ideologisch aufzupeppen. Man denke an die Spur, die vom Wort „sozialistisch“ im Namen der NSDAP bis zur sozialistischen Phraseologie der heutigen NPD führt. Je umstandsloser sich die Linken allerdings jeder gehaltvollen Vorstellung vom Sozialismus entledigen, desto leichter fällt den Rechtsradikalen ihr Geschäft.
CHRISTIAN SEMLER
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