„Er sagt, was Putin denkt“

Sergej Iwanow, der Sicherheitsberater des russischen Präsidenten, lehnt die US-Pläne rigide ab – und lässt Raum für Doppeldeutigkeiten

MÜNCHEN taz ■ Er liest gerne Politthriller von John le Carré und Frederick Forsyth, Präsident Putin kennt er seit gemeinsamen KGB-Zeiten im Leningrad der Siebzigerjahre, und in absehbarer Zukunft könnte er russischer Ministerpräsident werden. Auf der Münchner Konferenz hat Putins Sicherheitsberater Sergej Iwanow fast so viel Beachtung gefunden wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. „Er sagt, was Putin denkt“, begründet BND-Chef August Hanning das Interesse. Die Frage nach Iwanows Rede war nur: Wie meint er, was er sagte?

Bot Russland, das sich von den Plänen für das Nationale Raketenabwehrsystem NMD bedroht fühlt, gestern einen Deal an? Oder betonierte Iwanow nur die russische Ablehnung, wie ein westlicher Diplomat meinte? Der Sicherheitsberater sparte nicht mit Angriffen auf die Nato und ihre Mitglieder: Die Ereignisse auf dem Balkan zeigten die Ineffizienz des europäischen Krisenmanagements. Der Nato-Einsatz im Kosovo, Unranmunition inklusive, habe zu einem ökologischen Desaster, vergleichbar mit Tschernobyl, geführt. Wenn für NMD der ABM-Vertrag aus dem Jahr 1972 geopfert werde, führe das zur „Vernichtung der gesamten Struktur für strategische Stabilität“, ein neuer Rüstungswettlauf drohe, der sich bis ins All erstrecke.

Dann kam Iwanow auf die russischen Schulden zu sprechen. Pragmatismus habe einiges für sich, legte er den westlichen Gläubigern nahe: Wer heute nicht auf einen Teil seiner Ansprüche verzichte, könne morgen mit Folgen konfrontiert sein, die ihn viel teurer zu stehen kommen. Diese Regel, erklärte Putins Vertrauter mit Vergnügen an der Doppeldeutigkeit, gelte nicht nur in der Finanzwelt – auch Politik habe ihren Preis. Im Gegenzug für den Erhalt des ABM-Vertrags bot Russland den USA unter anderem an, gemeinsam das strategische Atomwaffenpotenzial drastisch zu reduzieren, sowie sofortige Gespräche über einen Salt-III-Vertrag.

Der demokratische US-Senator Joseph Lieberman griff den Faden auf. Es dauere noch Jahre, bis NMD technisch überhaupt einsatzfähig sei. „Also haben wir Jahre, um die Ängste zu verringern.“ Einen ersten Schritt schlug der einflussreiche Außenpolitiker sofort vor: „Wir müssen das ‚N‘ aus ‚NMD‘ werfen.“ Auch den USA gehe es nicht um eine nationale, sondern eine globale Raketenabwehr – „GMD“ statt „NMD“.

Nicht alle Zuhörer waren von Iwanows Offenheit überzeugt. Die Russen fühlten sich in der Defensive, lautet eine deutsche Einschätzung, aber statt auf internationale Kooperation zu setzen, herrsche das alte Denken in nationalen Interessen fort. Iwanow hatte sich jedenfalls bitter über die fehlende Anerkennung russischer Anstrengungen seitens des Westens beklagt. So mache der Westen Putin zuerst das innenpolitische Chaos in Russland zum Vorwurf, doch sobald der Präsident Gegenmaßnahmen ergreife, würden diese als Bedrohung für die Demokratie bezeichnet. In Tschetschenien schließlich verteidige Russland die Freiheit der westlichen Welt, erklärte er den verblüfften Zuhörern. Unter Opfern und Entbehrungen stelle Russland sich dort der Plage des Terrorismus in den Weg, so wie es einst im 13. Jahrhundert Europa vor dem Ansturm der Tataren und Mongolen bewahrt habe.

PATRIK SCHWARZ