: „Das Tribunal in Den Haag hilft uns“
Nach einem Jahr im Amt zieht Kroatiens Präsident Stipe Mesić positive Bilanz. Gerade die Demokratisierung Serbiens eröffnet der Region neue Chancen. Jedoch bleibt die Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher an Den Haag oberstes Gebot
Interview: ERICH RATHFELDER
taz: Ein Jahr nach dem demokratischen Machtwechsel in Kroatien ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Was wurde seit Ihrem Amtsantritt erreicht?
Stipe Mesić: Kroatien hat sein Image in Europa und der Welt zum Positiven verändert. Mit dem Machtwechsel in Serbien haben sich die Chancen für eine Politik der gutnachbarschaftlichen Beziehungen und der Kooperation erhöht. Großen Wert legen wir darauf, die Politik Kroatiens gegenüber Bosnien und Herzegowina in neue Bahnen zu lenken. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass Bosnien und Herzegowina genauso wenig wie die Schweiz geteilt werden kann. Alle Diskussionen über die Veränderung von Grenzen müssen beendet werden. Es ist uns weiter gelungen, ausländische Investoren zu gewinnen. Leider ist unser Gesetzesrahmen immer noch nicht ausreichend kompatibel mit dem Rahmen, der in Europa existiert. Daran wird aber gearbeitet. Absolut unzufrieden sind wir, dass es uns bisher nicht gelungen ist, Industrieproduktion und Export im erforderlichen Maße anzukurbeln.
Sie haben im Wahlkampf versprochen, mit der Demokratisierung ernst zu machen. Sie haben sogar versprochen, als Präsident Macht an Parlament und Regierung abzugeben. Was ist daraus geworden?
Wir mussten vom Präsidialsystem französischen Musters zu einer parlamentarischen Demokratie übergehen. Heute haben wir ein Parlament, welches das Zentrum der Entscheidung ist, und eine Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Der Präsident ist aber nicht zur repräsentativen Figur abgesunken.
Das Wahlversprechen, die Steuern entscheidend zu senken, ist aber nicht eingelöst.
Die Menschen wollen konkrete Erfolge und das schnell. Wir haben in der Steuer- und Finanzpolitik sowie bei der Verkleinerung des Staatsapparates viel zu tun, der Staat ist noch zu teuer. Leider ist früher viel kroatisches Kapital ins Ausland abgeflossen und wir haben ein falsches Privatisierungsmodell gehabt. Ich verlange von Regierung und Parlament, schneller zu handeln.
Die EU und andere internationale Institutionen haben Hilfen für Südosteuropa versprochen. Tut Europa genug?
Bei der Durchführung des Konzepts hapert es noch. Es sieht eine engere Zusammenarbeit der Staaten in der Region vor. Das ist richtig, denn jedes Land für sich ist zu klein für eine wirksame Wirtschaftspolitik. Wenn sich die Grenzen öffnen, können die Ressourcen aller besser genutzt werden. Man muss endlich eine neue Etappe der Kooperation beginnen. Aber die Voraussetzungen müssen stimmen.
Welche denn?
Ganz wichtig ist, mit kollektiven Schuldzuweisungen aufzuhören. Für Krieg und Verbrechen tragen Individuen Verantwortung, nicht ganze Nationen. Hier hilft uns das Gericht in Haag.
Wie? Die Chefanklägerin Del Ponte hat in Belgrad wenig erreicht, einige Verantwortliche dort meinen, Milošević könnte in Serbien bleiben.
Wenn es dazu kommen sollte, würden die Demokratisierungsprozesse im gesamten Raum ins Stocken geraten. Denn Milošević hat seine Taten nicht nur in Serbien, sondern in Kroatien, Bosnien und Herzegowina und im Kosovo begangen, deshalb muss er mit den anderen Verantwortlichen vor ein internationales Gericht gestellt werden. Ich glaube, dass es Carla del Ponte gelingt, ihn nach Den Haag zu bringen.
Gibt es Konflikte zwischen Kroatien und Frau Del Ponte?
Ja, aber wir haben dieses Missverständnis gelöst. Es müssen alle jene, die Befehle gegeben, und jene, die sie ausgeführt haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Kroatien kooperiert mit Den Haag. Wir haben zwar einen Verteidigungskrieg geführt, doch jene, die sich Verbrechen schuldig gemacht haben, müssen dafür gerade stehen.
Was passiert, wenn Belgrad nicht mitspielen sollte?
Wir wünschen uns ein demokratisches Serbien. Aber wir erwarten neben der Kooperation mit Den Haag, dass die serbische Führung wirklich etwas unternimmt und nicht nur verbal die Demokratie proklamiert.
Und wenn die internationale Gemeinschaft nicht auf der Auslieferung mutmaßlicher serbischer Kriegsverbrecher beharrt?
Wir können kein selektives Vorgehen akzeptieren. Wenn die serbische Führung behauptet, dass sie Milošević nicht ausliefern kann, weil die Verfassung dies unmöglich macht, muss die Verfassung geändert werden. Wir haben in diesem Sinne ein Verfassungsgesetz verabschiedet. Wenn die internationale Gemeinschaft ernsthaft ist, darf sie Serbien finanziell nicht unterstützen, bis die Zusammenarbeit mit Den Haag gesichert ist.
Sie wollen also ein Junktim?
Ja, das ist auch wichtig für die serbische Bevölkerung, sie muss endlich begreifen, dass jene, die Schuld tragen, auch dafür gerade zu stehen haben. Und dann wird man auch in den Nachbarstaaten aufhören, alle Serben anzuklagen. Eine ganze Nation darf nicht Gefangene von Einzelpersonen bleiben, die Kriegsverbrechen begangen haben.
Wenn aber die wirtschaftliche Kooperation an Bedingungen geknüpft ist, könnte sich die wirtschaftliche Erholung und der Integrationsprozess Südosteuropas verlangsamen. Was bedeutet das für Kroatien?
Wir möchten an einer Regatta teilnehmen, nicht an einem Konvoi. In dem Maße, in dem ein Staat die Bedingungen der EU erfüllt, sollte er sich auch Europa anschließen können. Wenn aber die Probleme mit den Nachbarn nicht gelöst sind, dann klebt das an den Beinen aller wie Klötze. So haben wir ein Interesse, dass die Entwicklung in Serbien in die gewünschte Richtung führt.
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