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Biobauern werden glücklich

von BERNHARD PÖTTER

Der Kanzler erntete müdes Lächeln. Man müsse „weg von den Agrarfabriken“, hatte Gerhard Schröder Ende November im Bundestag erklärt. Ob Schröder denn wisse, was er da sage, fragten sich viele Agrarexperten. Die Aufgabe, einen Umbau der deutschen Landwirtschaft zu schaffen, werde auf massiven Widerstand bei Bauernlobby und Agrarindustrie und auf Desinteresse bei der Bevölkerung stoßen. Das sei kein Thema, mit dem sich Medienkanzler Schröder profilieren könne, ändern werde sich wohl kaum etwas.

Die Pessimisten könnten Unrecht haben. Denn offensichtlich plant die rot-grüne Regierung unter der Führung von Kanzler Schröder und Verbraucherministerin Renate Künast nach Atomausstieg, Steuerreform und Rentenneuordnung einen weiteren Kraftakt, der dringend nötige, aber bisher verschleppte Korrekturen an der bisherigen Politik vornehmen soll.

Kanzleramt und Landwirtschaftsministerium haben ein Konzept erarbeitet, wie die Produktion von Lebensmitteln und der Umgang mit der Natur völlig neu geordnet werden sollen. Das 28-seitige Papier „Vorschläge für eine verbraucherorientierte Neuausrichtung der Agrarpolitik“, das der taz vorliegt, ist der Masterplan für die Agrarwende in Deutschland.

Geld für Ökostandards

Das Konzept, das unter anderem vom Agrarexperten des Umweltverbands Euronatur, Lutz Ribbe, verfasst wurde, dient im Kanzleramt als interne Arbeitsgrundlage für den weiteren Umgang mit dem Thema Landwirtschaft. Es analysiert die Malaise der Agrarpolitik und schlägt einen radikalen Kurswechsel vor: Weg von der Förderung von Massenproduktion, hin zur Unterstützung von heimischer Güteproduktion. Geld soll es künftig nur noch für Höfe geben, die nach ökologischen Mindeststandards arbeiten. Die Beziehung von Bauern und Gesellschaft soll neu definiert werden: „Die Landwirtschaft“, heißt es in dem Papier, „akzeptiert, dass sie zwar rationell produzieren muss, aber dies innerhalb Natur und Menschen schonender Rahmenbedingungen tut und andere Aufgaben wahrnimmt.“ Andererseits solle „die Gesellschaft ihre Ansprüche definieren“, die Rahmenbedingungen für die landwirtschaftliche Produktion bestimmen und akzeptieren, „dass die Leistungen honoriert werden sollen“. Keinesfalls sollen die Bauern die Verlierer der Agrarwende sein, heißt es. Im Gegenteil: „Dieser Vorschlag läuft auf eine noch nie dagewesene Unterstützung des Staates zugunsten der deutschen Landwirte hinaus.“

Offenbar gibt es breite Unterstützung für den Kurswechsel in der Agrarpolitik. Am Dienstagabend etwa trafen sich Vertreter von Bauernverband, Ökobauern, Einzelhandel, Ernährungsmittelindustrie und Verbraucherschutzverbänden im Kanzleramt, um der Strategie ihren Segen zu erteilen. „Alle sind sich einig, dass aus der BSE-Krise ein Neuanfang für mehr Qualität gemacht werden muss“, bestätigt Alexander Müller, Staatssekretär im Verbraucherministerium gegenüber der taz. Allerdings sei dies ein „langer, steiniger Weg“, der eine Menge Geld kosten werde. Experten rechnen mit „dreistelligen Milliardensummen“ an Subventionen, die umgeleitet werden müssen.

Die Strategie der Agrarwende, heißt es in dem Papier, „zielt nicht auf die Bewältigung der aktuellen Probleme aus der BSE-Krise“. Vielmehr seien harte Schnitte auch aus anderen Gründen nötig: Die Osterweiterung der EU und die WTO-Verhandlungen erzwängen ohnehin eine andere Landwirtschaft, der ländliche Raum verarme seit Jahren, die Mittel würden ungerecht verteilt, und die aktuelle Form der Landwirtschaft sei „in vielen Sektoren Hauptverursacher von Umwelt- und Naturschutzproblemen“. Die Steuerzahler seien „auf Dauer nicht bereit, eine Landwirtschaft zu subventionieren, die Landschaft, Natur und Böden beschädigt, um verbilligt Rindfleisch und Weizen nach China oder Arabien zu exportieren“.

Der Schlüsselbegriff für die Planer im Kanzleramt ist „Multifunktionalität“: Landwirtschaft gekoppelt an die Landschaft zu betreiben. Der Bauer soll also nicht nur als Fleischproduzent, sondern wieder als Hüter der Natur, Landschaftsgestalter und Wirtschaftsfaktor für den ländlichen Raum gesehen werden.

Unter diesem Aspekt werden die Bauernhöfe in drei Kategorien eingeteilt: Der „gewerbliche“ Landbau (in Zukunft 15 Prozent der Betriebe) macht so weiter wie bisher – die Agrarfabrik, aber mit weniger Subventionen, Beratung und Forschung. Die meiste Aufmerksamkeit soll der „multifunktionalen Landwirtschaft“ zukommen: konventionelle bäuerliche Höfe (etwa 75 Prozent), die sich nach festgelegten Ökokriterien ihre Beihilfen für Landschaftspflege und Qualitätsprodukte verdienen. Bei ihnen stehen nicht mehr als zwei Kühe pro Hektar, um die Futterversorgung vom eigenen Hof zu garantieren; sie pflegen Hecken, Bäche und Waldinseln auf den Feldern; sie säen auf nicht mehr als einem Drittel ihrer Fläche die gleiche Pflanzensorte, um den Boden zu schonen. Die Ökolandwirte (10 Prozent) arbeiten weiter nach ihren strengen Kriterien.

Tierfutter jetzt ohne Altöl

Um die Bauern auf Ökokurs zu trimmen, gibt es vor allem ein Instrument: massive Umschichtungen der Subventionen. So soll es in Zukunft „keine Direktzahlungen mehr ohne gesellschaftliche Gegenleistung“ geben. Aktuelle Ausgleichszahlungen, von denen nur die Großbetriebe profitieren, sollen abgebaut werden; Prämien für „Multifunktionalität“ gezahlt werden; EU-Subventionen und deutsche Mittel sollen für den naturnahen Landbau umgeleitet werden; Tiermehl soll verboten bleiben, erlaubte Futtermittel festgelegt und gekennzeichnet werden. Es sei dem Verbraucher nicht klar zu machen, warum kommunaler Abfall und mit Giften behandeltes Holz im Tierfutter verboten sei – Altöl aber nicht.

Der „gewerblichen Landwirtschaft“ sollen die Privilegien beim Steuer- und Baurecht entzogen werden und vor allem endlich der Inhalt von Lebensmitteln offen gekennzeichnet werden: „Niemand versteht, warum eine Wildschweinwurst nur zu 5 Prozent aus Wildschwein bestehen muss und weshalb in Kalbsleberwurst keine Kalbsleber enthalten zu sein braucht.“

Neben diesen Maßnahmen des Angebots wollen die Planer vor allem die Nachfrage nach Qualitätsprodukten steigern – eine klassische Push-and pull-Strategie. Eine große Werbekampagne für etwa 100 Millionen Mark „zielt auf eine kulturelle Veränderung“ im Konsumverhalten. Die Menschen sollen besseres Essen zu „leicht höheren Preisen“ akzeptieren, hoffen die Planer. Bionahrung soll aus der Müsli-Ecke herauskommen und in weiten Kreisen akzeptiert werden, regionale Produkte sollen an Bedeutung gewinnen. Zielgruppen sind vor allem „Arbeitnehmerfamilien“: Denn es herrsche das Vorurteil, Bionahrung zu empfehlen sei Arroganz der Besserverdienenden. Ganz klassenkämpferisch heißt es da im SPD-Kanzleramt: „Gut zu essen darf kein Privileg der Oberschicht sein.“

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