: „Die Krise ist eine Chance“
Der Geschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbandes, Nils Busch-Petersen, begrüßt die von der Bundesregierung angekündigte radikale Wende in der Verbraucherpolitik – denn davon profitiert der Einzelhandel. Erziehung zu gesunder Ernährung ist gefragt. Schüler sollen statt Cola Milch trinken
Interview PLUTONIA PLARRE
taz: Die neue Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat eine radikale Wende in der Agrarpolitik angekündigt. Die Wende müsse von einem magischen Sechseck aus Verbraucher, Einzelhandel, Landwirten, Futter- und Lebensmittelindustrie und der Politik eingeleitet werden.
Nils Busch-Petersen: Am Montag, als ich beim parlamentarischen Abend des Auswertungs- und Informationsdienstes der Ernährungswirtschaft war, sprach Frau Künast noch von einem magischen Viereck. Jetzt ist sie beim magischen Sechseck. An sich müssen wir uns dem unendlichen Vieleck annähern, das deutlich macht, dass sich alle beteiligen müssen. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung für die entstandene Situation. Man kommt nicht umhin, bis zum Verbraucherverhalten hin unangenehme Themen und Wahrheiten anzusprechen. Aus Sicht des Einzelhandels kann ich das nur begrüßen.
In Berlin gehen immer mehr kleine Läden ein. Der Verbraucher entscheidet sich aus Kostengründen zunehmend für die billigen Einkaufszentren. Erwarten Sie ein Umdenken?
Da ich Berufsoptimist bin – sonst wäre ich nicht beim Einzelhandelsverband – habe ich schon die Hoffnung, dass ein grundsätzliches Umdenken endlich gelingt. Die nur auf Billigpreise orientierte Marketingstrategie sollte eines Tages genauso der Vergangenheit angehören wie ein Verbraucherverhalten, das immer weniger Geld in den Handel gibt. Innerhalb der vergangenen Jahre hat sich das Ausgabenverhalten völlig geändert. Früher hat der Kunde über 50 Prozent seines Nettoeinkommens im Handel gelassen, heute sind es etwas über 30 Prozent. Für Ernährung werden nur noch 13 Prozent ausgegeben. Dafür macht er zweimal im Jahr eine teure Fernreise mit dem Flugzeug. Es gehört viel Energie dazu, diesen Umdenkungsprozess einzuleiten. Das kann man nicht innerhalb einer Generation bewältigen. Aber Frau Künast traue ich das zu.
Die Nachfrage nach Naturkostprodukten ist nicht erst seit der BSE-Krise gewaltig gestiegen. Wird die Bioware bald zum festen Sortiment der Supermärkte gehören?
Der Trend ist seit Jahren ungebrochen, auch über den Naturkost-Fachhandel hinaus. Im filialisierten Bereich werden schon jetzt über Eigenmarken Bioprodukte angeboten. Meistens im Trockensortiment wie Müsli und so weiter. Der Handel hat damit bisher aber sehr durchwachsene Erfahrungen gemacht. Die Frischsortimente wurden vom Verbraucher bislang nicht angenommen. Das wird sich verändern. Es gibt die ersten Bio-Supermärkte in der Stadt, die auch den Biofachhandel zwingen, sich zu bewegen. Das Ganze hängt sehr stark von der Nachfrage ab. Ich denke, dass hier eine sehr interessante Entwicklung im Gange ist, mit der selbst für die konventionell hergestellten Produkte ein anderes Preisbewusstsein erreichbar ist. Ein Bewusstsein, dass darauf abstellt, dass man für 2,99 Mark pro Kilo kein Rindfleisch erzeugen kann.
Wie kann man das Bewusstsein verändern?
Es muss eine Erziehung für eine vernüftige Ernährung stattfinden. Der Absatz der Schulmilch in Berlin zum Beispiel nimmt immer mehr ab, weil es für die Damen und Herren Hausmeister lukrativer ist, den Automaten zu betreuen, der die Coladosen auswirft. Dass die Milch ernährungsphysiologisch ein absolut wertvolles Produkt ist, geht dabei völlig unter.
Würde eine Wende im Verbraucherverhalten zur Folge haben, dass es mit dem Einzelhandel wieder aufwärts geht?
In jedem Umbruchprozess stecken Chancen für innovativ denkende Unternehmer. Im deutschen Handel hat man sich völlig abgewöhnt, Geld zu verdienen. Außerhalb des Lebensmittelhandels bleiben 3,70 Mark von 100 Mark Umsatz vor Steuer übrig. Im Lebensmittelhandel sind es eine knappe Mark bis 1,50. Das ist kein Zustand. Das Fernziel ist, dass man für einen serviceorientierten Handel mit Qualitätsprodukten auch wieder vernüftige Preise erzielen kann. Das wäre auch für die Handelsstruktur in der Stadt und die Kleinteiligkeit der Läden förderlich. Man muss begreifen, dass Stadt und Handel ein Wert sind, den wir schützen müssen. Wenn die Quartiere in Berlin weiter enthandelt werden, bedeutet dies das Ende des städtischen Lebens. Wer im Naturkostladen 50 Pfennig mehr ausgibt, tut dies, weil er einen pfleglichen Umgang mit den Ressourcen unterstützt. Wenn ich wohnortnah einkaufe, tue ich etwas für den Erhalt von Strukturen, die mir als Bürger wichtig sind.
Herr Busch-Petersen, wie halten Sie es eigentlich mit Ihrer eigenen Ernährung?
Zu Hause haben wir unsere Ernährung schon seit Jahren sehr konsequent auf Lebensmittel aus biologischem Anbau umgestellt. Ich bin der lebende Beweis dafür, dass man damit sehr rund bleiben kann (lacht).
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