: Das verhängnisvolle schwarze Loch
Traumatisierte können oft nicht über ihre Folterung sprechen. Im Asylverfahren müssen sie das aber: Eine Tagung des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein gemeinsam mit dem Innenministerium ■ Von Heike Dierbach
Als Iris Liebner zu erzählen beginnt, wird es plötzlich ganz still im Saal. Die Geschichte ist 15 Jahre her, aber Liebner erinnert sich noch an jedes Detail. Es ist ein seltenes öffentliches Zeugnis: Liebner ist Einzelentscheiderin beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Außenstelle Lübeck. Sie berichtet von der Anhörung eines chilenischen Asylbewerbers: Trotz mehrfachen Nachfragens erzählte der Mann nichts über die Zeit seiner Verhaftung. Nur: „Dann haben sie mich festgenommen. Als ich wieder freigelassen wurde ...“ Liebner reicht das nicht. Sie beschließt, den Asylantrag abzulehnen. Aus einem plötzlichen Impuls heraus sagt sie ihm das. Der Chilene bekommt einen Weinkrampf, beginnt am ganzen Körper zu zittern. Und dann erzählt er doch. Hört gar nicht mehr auf. Was die Sicherheitskräfte mit ihm gemacht haben. „Es war das Schlimmste, was ich bisher in meinem Leben gehört habe“, sagt Liebner heute. Noch während seiner Schilderungen versicherte sie dem Mann, dass er Asyl bekommt.
Liebner ist Referentin auf dem Tagesseminar „Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen“ an diesem Mittwoch in Neumünster. Organisiert haben es der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und das Innenministerium – gemeinsam. Die rund 100 TeilnehmerInnen haben alle beruflich mit traumatisierten Flüchtlingen zu tun, würden sich aber kaum als KollegInnen bezeichnen: TherapeutInnen, FlüchtlingsberaterInnen, DolmetscherInnen, RechtsanwältInnen – und EinzelentscheiderInnen, RichterInnen, MitarbeiterInnen der Ausländerämter, AmtsärztInnen. Die Moderation machen Martin Link vom Flüchtlingsrat und Norbert Scharbach, Leiter der Abteilung Ausländerangelegenheiten im Innenministerium.
„Unser Ziel ist es, mit den Mitarbeitern der kommunalen Ausländerbehörden ins Gespräch zu kommen“, erklärt Link, „es gibt da durchaus welche, die ihr Ermessen positiv nutzen wollen. Aber die brauchen seriöse Informationen.“ Scharbach hofft, dass das gemeinsame Gespräch Brücken baut und „Spielräume“ auslotet. (siehe Gastkommentar) Das kommt nicht bei allen Ausländerbehörden an: Nur die Hälfte der Kreise hat jemanden zu der Fortbildung geschickt.
Über Traumatisierung zu informieren ist „als würde man über eine neu entdeckte Krankheit sprechen“, sagt Dietrich Koch, Psychotherapeut und Leiter der Beratungsstelle „Xenion“ in Berlin. Dabei hat jedeR von uns eine Chance von 50 Prozent, einmal im Leben ein Trauma zu erleben: Einen Verkehrsunfall, eine Natur- oder technische Katastrophe wie das Tunnelunglück von Kaprun. Oder – und das trifft auf viele Flüchtlinge zu – ein so genanntes „Man-made-Trauma“: Vergewaltigung, Folter, Lagerhaft, Geiselnahme. Nicht jedeR, der traumatisiert ist, wird auch krank. Experten schätzen aber, dass 30 bis 50 Prozent der Flüchtlinge eine „Posttraumatische Belastungsstörung“ entwickeln.
Die wird ihnen im Asylverfahren oft zum Verhängnis. Denn eines der typischen Symptome der Störung (siehe nebenstehende Liste) ist, dass der Betroffene nicht über das Erlebte sprechen kann – schon gar nicht im Detail. Detailreichtum gilt aber den EinzelentscheiderInnen als Merkmal für die Glaubwürdigkeit des Flüchtlings: Wer nicht redet, ist unglaubwürdig – wie der bereits erwähnte chilenische Flüchtling.
Liebner argumentiert, dass die EinzelentscheiderInnen heute durchaus geschult würden, um sensibler mit den Flüchtlingen umzugehen. Zudem gebe es 135 Sonderbeauftragte für unbegleitete Minderjährige, Folteropfer, Traumatisierte sowie geschlechtsspezifisch Verfolgte. Frauen können sich auf Wunsch von einer Frau befragen lassen. Das reicht aber nicht, findet der Psychologe Ralf Weber vom Behandlungszentrum für Folteropfer. Er fordert unter anderem, Flüchtlinge frühestens zwei Wochen nach der Einreise beim Bundesamt zu befragen, sie vorher von einer unabhängigen Stelle beraten zu lassen – und vor allem während der Anhörung Handlungen und Reize zu vermeiden, die eine Retraumatisierung auslösen können, wie beispielsweise Beamte in Uniform.
Aber auch, wenn ein Flüchtling bei der Anhörung von seiner Folterung erzählt: Eine Posttraumatische Störung allein ist nach dem deutschen Ausländergesetz kein Asylgrund, führt Dirk Gärtner vom Innenministerium aus. Es gebe aber dennoch Paragraphen, die man für Erkrankte nutzen kann, um ein Abschiebungshindernis festzustellen oder sogar eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen – etwa, damit ein Flüchtling hier eine Therapie machen kann. Einfacher wäre es, wenn ein Gesetzesentwurf umgesetzt würde, den der schleswig-holsteinische Innenminster Klaus Buß (SPD) dem Bundesrat vorgelegt hat: Er sieht vor, das Ausländergesetz um eine Härtefallregelung zu ergänzen.
Bisher können nur Traumatisierte aus Bosnien und Herzegowina wegen ihrer Krankheit in Deutschland bleiben. In Hamburg müssen sie zudem gegenüber der Behörde offenlegen, welches Ereignis das Trauma ausgelöst hat. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert ein Bleiberecht für alle traumatisierten Flüchtlinge – „die erlittene Gewalt ist grenzenlos“, sagt Martin Link.
Er wertet die Tagung als Erfolg. „Es ist gelungen, die Debatte über Traumatisierung zu versachlichen – ohne dass wir unser politisches Profil verloren haben.“ Im kommenden Jahr soll es wieder eine gemeinsame Fortbildung geben: „Viel wichtiger als die Fachinformationen sind ja die Gespräche, die die Leute zwischendurch in den Pausen führen.“ Auch wenn sie sonst auf verschiedenen Seiten stehen.
Eine Dokumentation der Tagung ist ab April für zehn Mark erhältlich beim Flüchtlingsrat (0431/735 000) oder beim Innenministerium (% 0431/ 988-3007)
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