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Wider das kollektive Misstrauen

Mit viel persönlichem Engagement schafft es die Psychologin Margret Rueffler, tief sitzende ethnische Ressentiments innerhalb von Gemeinschaften aufzuweichen, sei es in einem georgischen Dorf, auf Bali oder in Berlin. In Georgien ging das Konzept auf

von KARSTEN NEUSCHWENDER

Larissa Janitze ist ein gutes Beispiel. Ein Beispiel dafür, wie man durch gezielte Unterstützung von Menschen ein ganzes Dorf wiederbelebt. Larissa Janitze ist die Zahnärztin des georgischen Dorfs Bakuriani. Ihre Geschichte ist auch die Geschichte des Georgien-Projekts der Psychologin Margret Rueffler. Ein Projekt, das einem kleinen Ort mit psychologischer, materieller und finanzieller Unterstützung dabei half, sich aus seiner tiefen Depression zu befreien.

Noch 1986 trainierte im kaukasischen Dorf Bakuriani das sowjetische Olympiateam. Der Wintersportort war zu bescheidenem Luxus gekommen, es gab Intourist-Hotels und Cafés. Georgier, Osseten, Russen, Ukrainer und Armenier lebten weitgehend friedlich zusammen. Dann zerfiel der Ostblock, und es kam zu Spannungen – nationale Konflikte zwischen Georgien und Russland, regionale Konflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die Osseten wurden vertrieben, angeblich mehrere Dorfbewohner ermordet. 1994 lebten von ursprünglich 5.000 Menschen nur noch 2.000 im Dorf, Heizung und Strom funktionierten den größten Teil des Tages nicht.

„Die Menschen standen unter Schock, ein tiefes Misstrauen entstand, Kommunikation untereinander war nicht mehr möglich“, erläutert Magret Rueffler. Sie hatte einen Arzt aus Bakuriani kennen gelernt und beschlossen, nach Georgien zu gehen. Ihr Projekt „Eine Gemeinschaft heilen“ finanzierte sie ausschließlich durch Spenden. Mit Hilfe ihres „PsychoPolitical Peace Institute (PPPI)“ organisierte Rueffler Hilfsgüter und baute im Dorf die gemeinnützige Gruppe „Tara“ auf. Tara war eine achtköpfige multiethnische Gesellschaft, deren Vorstand ein Ossete war. Ihre Aufgabe war es, die Bedürfnisse des Dorfs herauszufinden und verschiedene Projekte gezielt zu fördern.

Die Dorfbewohner sollten möglichst selbstständig handeln. Dementsprechend wurden die Hilfsgüter, weitgehend Winterbekleidung und Kinderschuhe, nicht – wie es eine oppositionelle Gruppe um den Bürgermeister forderte – verteilt. Die Einwohner sollten die Vergabe selbst organisieren. Die Kommunkation im Dorf wurde wiederhergestellt. Tara organisierte Diskoabende für die Jugend, Begegnungsabende für junge Ehepaare, aber auch Treffen für Kriegsveteranen. Das kollektive Schweigen, das seit den Unruhen von 1991 auf dem Dorf lastete, sollte gebrochen werden. Das PPPI half beim Aufbau mehrerer Kleinunternehmen. Dorfbewohnern wurden Aus- und Weiterbildungen in Medizin, Jugendarbeit, der Käseherstellung, in Shiatsu oder Zahnmedizin ermöglicht. Larissa Janidze wurde vom PPPI ein Aufenthalt in Zürich ermöglicht, wo sie sich an der Schulzahnklinik und in privaten Praxen weiterbildete. Außerdem wurde ihr Hüftleiden operativ behandelt. Nach ihrer Rückkehr nach Bakuriani war die Depression des Ortes weitgehend durchbrochen. „Die Erscheinung eines ‚Wunders‘ in Gestalt Larissas, die von einer beidseitigen Hüft- und Beinoperation aus der Schweiz zurückkam und wieder in der Lage war, zu gehen und zu tanzen, unterstützte die Auflösung des Opfer-Unterdrücker-Musters und ermöglichte es dem Kollektiv, die Möglichkeit wahrzunehmen, dass Mitgefühl, Ermächtigung und Selbsthilfe wirklich existierten und es wert sind, kollektiv und individuell erlaubt zu werden“, erinnert sich Margret Rueffler.

Diese Begriffe sind in der psychologischen Arbeit von Rueffler zentrale Begriffe. Sie umschreiben Dinge wie „sich füreinander verantwortlich fühlen“, „Selbstvertrauen und eigene Fähigkeiten entwickeln“.

Nach dem Erfolg in Georgien setzt Margret Rueffler ihr Konzept jetzt auf Bali(s. Foto) und in Berlin um (s. Interview)

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