: Proteste gegen Verhandlungsführung
■ Zumutbarkeitsskala im Prozess um eine Vergewaltigung im Viertel-Imbiss Toros nach unten offen / 120 demonstierten
Der Prozess um eine Mehrfachvergewaltigung im Keller des Viertel-Imbiss „Toros“ lässt die Grenzen des Zumutbaren weit hinter sich. Ungewöhnlich viele Prozess-beobachterInnen haben diese Ansicht gestern deutlich gemacht. 120 Frauen und Männer waren gekommen, um die Verhandlung gegen zwei Angeklagte zu beobachten. „Hexenprozess“ stand auf dem Transparent, mit dem UnterstützerInnen der betroffenen Frau während der rund fünfstündigen Verhandlung vor dem Landgericht demonstrierten.
Als Zeuge geladen war gestern ein Bremerhavener Taxifahrer, der die betroffene Frau vor neun Jahren vergewaltigt haben soll. Das Verfahren ist damals eingestellt worden. Seine Ladung fand auf Betreiben der Verteidigung statt. Sie sieht die Glaubwürdigkeit der Betroffenen durch die frühere – ergebnislose – Anzeige im aktuellen Fall in Frage gestellt.
„Dieses Mal war es noch schlimmer als sonst“, sagte eine Zuschauerin, die nicht zum ersten Mal dabei war. Bereits der barsche Tonfall, in dem der Richter das Publikum aufforderte sich zu erheben, erschreckte manche. Verteidiger und Richter – jeweils im Doppelpack – wechselten sich darin ab, die Staatsanwältin in herablassendem Tonfall zu belehren. Milde war hingegen der Umgang mit dem Taxifahrer. Dabei wurde er zwar ausgiebig dazu befragt, wie sich die Betroffene ihm damals angenähert habe, aber nicht, warum er die damals 20-Jährige überhaupt mitgenommen hatte – obwohl er Feierabend hatte, sie seinen Angaben zufolge gar nicht wusste, wohin sie wollte, er sie außerdem für angetrunken und „durcheinander“ hielt. Die Frage, ob es in solch einer Situation nicht geboten wäre, sich in anderer Weise um die junge Frau zu kümmern als „mit ihr zu schlafen“, wurde ebenfalls nicht gestellt. Pikant: Der Taxifahrer hatte sich von der zierlichen Frau den Ausweis zeigen lassen. „Ich hatte sie für 15 gehalten.“ Besorgt reagierten die Richter gestern, als der Taxifahrer zu weinen begann. Ob er eine Pause wolle? Die Betroffene hatte erst ein ärztliches Gutachten einreichen müssen, damit ihre Belastbarkeitsgrenzen anerkannt würden.
Derweil hatte sich die abwertende Haltung von Verteidiger und Richtern gegenüber der Staatsanwältin offenbar auf den Zeugen übertragen. Während der Befragung durch die Staatsanwältin signalisierte seine Haltung Respektlosigkeit. Ob sie eben nicht aufgepasst hätte? Er habe die Frage doch schon beantwortet. Wer im Saal den Ton angab, war zuvor schon daran deutlich geworden, dass die Richter nicht darauf bestanden, dass auch die Verteidiger die Lautsprech-Anlage benutzten, um dadurch für alle verständlich zu werden.
Die Frage, was sich bei der Taxifahrt vor neun Jahren in Bremerhaven zugetragen hat, gilt unterdessen noch nicht als geklärt. In den kommenden Verhandlungen sollen weitere ZeugInnen zu diesem Vorfall befragt werden. Auch wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Zeugin geladen, der Toros-Mitarbeiter im Januar dieses Jahres gedroht haben sollen, sie würde auch noch „in den Keller“ kommen. ei
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