: Das Vogelschmutzgebiet
Heute beginnen mit dem ersten Rammschlag die Bauarbeiten im Mühlenberger Loch. Einen letzten Blick auf die Natur warf ■ Peter Ahrens
Noch ist es still hier. So still, dass man das Surren der Videokamera hört. Der Mann hinter der Kamera steht am Ufer, hält auf die Wasserfläche drauf und sagt: „Muss man ja noch mal auf Film festhalten. Sieht ab morgen hier ja schon anders aus.“ Es ist der letzte Tag, an dem das Mühlenberger Loch unangetas-tet ist. Heute rollen die Werkzeuge und Geräte zum ersten Rammschlag an, und dann war es das mit dem größten Süßwasserwatt Europas. Statt der Löffelente landet dann der Airbus.
Die Sonne scheint, das Vorfrühlingslicht lockt die Leute heraus auf den Neuenfelder Deich. Wer hier vorbeikommt, will noch einmal einen Blick: Besuchen Sie das Vogelschutzgebiet, so lange es noch steht. Jürgen Wilhelm ist aus Hausbruch nach Neuenfelde hinausgefahren, weil er hier immer am liebs-ten spazieren geht. Für ihn ist das „alles Schwachsinn, was die Politik da macht“. Die Natur wird einfach geopfert, „eine Lagerhalle kann man immer mal wieder abreißen, aber das hier wird unwiderruflich kaputtgemacht“. Es habe allerdings auch zu wenig Widerstand gegeben, findet er, „die hätten auch vor Ort mehr trommeln können“. Aber ihn interessiert das jetzt alles nicht mehr so recht, „ich gehe sowieso demnächst irgendwann in den Süden. Ans Mittelmeer, ich halte das hier im Norden nicht mehr aus.“
Einer steht am Deich, schaut auf den Fluss und sagt: „Ich mag diese Stelle, für mich ist es einer der schönsten Orte an der Elbe, ich bin immer gerne hierher gekommen.“ Wird er künftig nicht mehr so gerne tun. Mitanzusehen, wie hier aus einem Rastplatz für Zugvögel nun ein privates Unternehmen ein Vogelschmutzgebiet für lärmende Riesen-Flieger wird, das muss er sich nicht antun: „Es ist ein Jammer.“ Man hätte mehr unternehmen müssen, auch er selber nimmt sich da nicht aus. „Jetzt ist es ja wohl zu spät, oder?“
Es gibt natürlich auch die anderen. Die, für die die Bild-„Zeitung“ titelt: „Der Super-Airbus kommt. Danke, Herr Richter.“ Der A380 kommt zum Beispiel für Wolfgang Sandorff. Er wohnt in Cranz, hat mal eine Zeit lang bei Dasa gearbeitet, führt seinen Hund am Deich aus und hält die ganze Aufregung um die Werkserweiterung für völlig aufgebauscht. „Da habt ihr Medien aber auch viel zu viel Theater gemacht“, sagt er. Umweltschutz? „In der Natur ist hier doch ohnehin schon alles kaputt.“ Zufrieden sieht er aus, einer, der „auch mal an die Arbeitsplätze denkt“, das Loch und sein ökologischer Nutzen – es ist ihm egal. „Ich gehe hier auch weiterhin spazieren.“ Und die Obstbauern? „Die Bauern klagen sowieso immer, da muss man nicht viel drauf geben.“
Die Obstbauern, die ein paar Schritte entfernt ihre Bäume fürs Frühjahr zurechtschneiden, sehen nicht so aus, als würden sie immer klagen. „An und für sich sind wir ja gegen das Flugzeug“, sagen sie, „aber uns hat ja keiner gefragt.“ Sie zucken die Achseln und widmen sich wieder ihren Bäumen: „Hoffentlich lässt uns das Kerosin aus den Flugzeugen wenigstens unsere Früchte“, sagen sie noch: „Mehr wollen wir ja gar nicht mehr.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen