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Moralwächter wollen Berufung

Bezirksamt Wilmersdorf legt Berufung gegen Verwaltungsgerichtsurteil zum „Café Pssst“ ein. Damit rückt eine Entscheidung zur Sittenwidrigkeit auf höchster Ebene in weite Ferne. Cafébetreiberin plant neuen Standort mit anderem Konzept

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Spektakulär war das Urteil, doch unspektakulär geht es leider weiter. Nachdem im Dezember vergangenen Jahres die 35. Kammer des Verwaltungsgerichts entschieden hat, dass Prostitution nicht sittenwidrig ist, und die Betreiberin des „Cafés Pssst“ gegen den Willen des Wirtschaftsamts ihre Ausschanklizenz behalten konnte, will das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf jetzt Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht einlegen.

Felicitas Weigmann, die in der Brandenburgischen Straße ein Café betreibt, wo Prostituierte arbeiten, und im Hinterhaus stundenweise Zimmer vermietet, hatte gegen die Schließung ihres bordellartigen Betriebs geklagt und damit eine Grundsatzentscheidung ermöglicht. Prostitution sei heute „als Teil des Zusammenlebens“ in der Gesellschaft weitgehend akzeptiert, so das Urteil.

Der Vorsitzende der 35. Kammer, Richter Percy McLean, zeigte sich gestern enttäuscht. „Ich hatte gehofft, dass das Bezirksamt eine Sprungrevision einlegt“, so McLean. Das hätte bedeutet, dass möglicherweise schon in einem halben Jahr das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung auf höchster Ebene trifft. „Aber so kann das endlos dauern“, so McLean.

Die Betreiberin des Cafés Pssst, Felicitas Weigmann, sieht der angekündigten Berufung gelassen entgegen. „Ich kann gar nicht verlieren“, sagte sie, „weil ich die Möglichkeit hatte, einer breiten Öffentlilchkeit das freie und selbst bestimmte Arbeiten von Prostituierten zu zeigen“.

Ein weiterer Grund für ihre Gelassenheit ist der, dass sie mit einem geplanten Umzug nach Schöneberg ein anderes Konzept verbindet. Ihre derzeitigen Pläne sehen eine Bar mit großer Tanzfläche und Zimmervermietung am Lützowplatz vor, der Prominente, Liebespärchen, Manager und Singles anziehen soll. „Dann mache ich aber keine Werbung mehr als Bordell“, so Weigmann. Frauen könnten dort aber ebenso arbeiten wie auch in großen Diskotheken und Hotelbars. Die gelernte Krankenschwester betont: „Ich habe mir mein Recht erstritten und ziehe jetzt nicht den Schwanz ein.“ Vielmehr wolle sie die durch ihre öffentlichen Auftritte gewonnenen „guten Beziehungen“ nutzen, um einen „Nachtschwärmertreffpunkt“ zu eröffnen, der jeden Tag offen ist.

Der Wirtschaftsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Klaus-Dieter Gröhler (CDU), begründet die Berufung, für die er am Montag beim Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf Zulassung stellen will, mit „der unterschiedlichen Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit“. Die 34. Kammer des Verwaltungsgerichts habe wiederholt anders geurteilt als die 35. Kammer, so der Stadtrat. Gröhler betont zwar: „Ich bin nicht der oberste Moralapostel“, doch gegen einen Gang vor das Bundesverwaltungsgericht spräche, dass trotz der eingeholten Stellungnahmen durch McLean noch nicht hinreichend geklärt sei, ob es in der Gesellschaft wirklich einen Wertewandel zur Prostitution gegeben hat.

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