Ein Buch für Sieger und Besiegte

Wie der frühere DDR-Geheimdienstchef Werner Großmann sein nichts enthüllendes Buch vorstellt und auf alte Weggefährten trifft: Kein Heimspiel für den Ex-BND-Chef Heribert Hellenbroich. Die sächselnden alten Männer im Publikum heizen ihm ein

von SEBASTIAN FISCHER

Im Treppenhaus stehen Prinz-Heinrich-Mützen Schlange. Darunter alte Männer, oft sächselnd: „Kommt der Heinz?“ – „Ja ja, ganz sicher, Karl ist auch schon da.“ Man kennt sich im Aufgang zum Grünen Salon der Volksbühne. Viele hier am Geländer erwarten ihren alten Boss.

Der hat im Salon seinen großen Auftritt. Werner Großmann, letzter Geheimdienstchef der DDR, stellt sein Buch „Bonn im Blick“ vor, in dem er seine Zeit bei der HVA, der Auslandsaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit, schildert. Von 1953 an arbeitete er im Dienst. Nach Abgang des legendären Markus „Mischa“ Wolf 1986, der die „Zügel mental und real“ habe „schleifen“ lassen, wird Großmann Chef. Bis zum Untergang.

Im Saal herrscht großes Gedränge, die ersten Reihen sind für Journalisten reserviert, hinten treten sich die Rentner auf die Füße. Einige schlurfen nach vorn, weil Journalisten „ ja auch im Stehen arbeiten“ können.

Währenddessen beziehen die alten Widersacher aus dem Kalten Krieg Stellung auf dem Podium. Links Großmann, rechts Heribert Hellenbroich, von 1983 bis 1985 Präsident des westdeutschen Verfassungsschutzes und danach kurze Zeit BND-Chef. Dazwischen thront Werner Sonne, sonst ARD-Journalist, heute der Frager. Im Tonfall eines weisen Sesamstraßen-Sprechers macht er „ein paar Bemerkungen aus persönlicher Sicht“ – 15 lange Minuten. Dann wird über die Thesen des „durchaus lesenswerten“ Buches gestritten.

Großmann enthüllt nichts, schreibt nur über Agenten, die schon enttarnt sind und ärgert sich über Exmitarbeiter, die sich nach der Wende „freigekauft oder bereichert haben“, indem sie ehemalige Agenten enttarnten: „Diese Verräter verurteilen wir. Nicht nur, weil wir einen Eid geschworen hatten, sondern auch, weil die Familien der Verratenen in die Tiefe gerissen wurden.“ Wenn er „Ich“ meint, sagt er „wir“. Und die erste Person Plural sitzt im Saal: Sie applaudiert, wenn Großmann die „Gleichbehandlung der Kundschafter“ aus West und Ost fordert. Oder wenn er die Arroganz des Westens kritisiert, die nach der Wende „alles, was in der Bundesrepublik galt, auch für die DDR gültig gemacht“ hat. Dann ist der Ex-agent ganz Vox Populi, dann ist er eins mit den rebellischen Untertanen von gestern: „Ich spreche jetzt mal für die Bürger der DDR, die die friedliche Revolution durchgeführt haben.“

Da ist auch der blass wirkende Hellenbroich dabei, man habe nach 1989 eine „unglückliche Hand mit der DDR gehabt“. Die Rentensache sei nicht ganz gerecht abgelaufen. Ein „Jawoll“ ertönt aus den Tiefen des Saals.

Großmann inszeniert sich als Besiegter und Sieger: Einerseits will er das Opfer der neuen Umstände sein, weist im Buch auf Unterschiede zwischen Stasi und HVA hin. Denn mit den Repressionen im Inneren habe er nichts zu tun gehabt. Andererseits sieht er den DDR-Dienst dem West-pendant als überlegen an, rühmt die Motivation der Mitarbeiter: „Die ideologische Ausrüstung, die wir hatten, hatten die in der Bundesrepublik nicht. Die dachten eher ans Geld.“ Das bringt Hellenbroich auf: „Wir sind nicht die BND-Hampelmänner.“ In einer Diktatur müsse man sich nicht um „Menschenrechte kümmern“, weshalb die Arbeit dort leichter sei. „Eine Demokratie aber hat mit diesen Rechten zu tun“ – und schnell fügt er noch ein „Gott sei Dank“ an.

Mit einem Beifall heischenden Blick schaut Großmann ins Publikum, zur Attacke ansetzend: Hellenbroich könne ja auch ein Buch schreiben „und zeigen, dass Sie auch so erfolgreich waren wie wir“. Seine alten Genossen danken es ihm mit Beifall und Gelächter. Hier sind sie Sieger, hier dürfen sie es sein.