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„Auch Kirch hat sich maßlos verkalkuliert“

Rudi Michel, langjähriger Sportkommentator der ARD, empfindet Schadenfreude darüber, dass die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr am Ball sind. Von den Privaten erwartet er nur Show und Werbung: „Fußball ist totgesendet“

taz: Herr Michel, wie haben Sie die Kunde aufgenommen, dass ARD und ZDF bei der Fußball-WM im Jahre 2002 nicht mehr in der ersten Reihe sitzen?

Rudi Michel: Ich kann die Entscheidung der Öffentlich-Rechtlichen erstens verkraften und zweitens verstehen. Zumal die Fußball-WM ja Gott sei Dank nicht im Pay-TV, sondern zumindest teilweise noch im Free-TV stattfindet. Was wir da allerdings in Kauf werden nehmen müssen, ist Werbung, Werbung und nochmals Werbung.

ARD und ZDF waren von Beginn der Fernsehübertragungen von Weltmeisterschaften 1954 mit dabei. Sie selbst haben fünf WM-Endspiele für die ARD kommentiert. Und da blutet Ihnen nicht das Herz?

Nein, es blutet mir nicht, ich bin noch nicht einmal traurig. Vielmehr empfinde ich Genugtuung, ja Schadenfreude.

Wie bitte?

Ich saß ja früher lange Jahre in der Verhandlungskommission zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und dem Deutschen Fußballbund. Schon damals hat der DFB immer wieder mehr Geld für weniger Programm verlangt. Und ich war damals einer von denen, die gesagt haben: Lasst die Verhandlungen doch platzen. Hätten wir das vor zehn oder fünfzehn Jahren tatsächlich getan, wäre die Situation heute eine andere. Im Übrigen ist es ja keineswegs so, dass nur ARD und ZDF die Leidtragenden sind, sondern auch Herr Kirch. Der hat sich doch maßlos verkalkuliert, insbesondere mit der riesigen Summe, mit der er sich die WM-Übertragungsrechte gesichert hat, die er jetzt nicht los wird.

Die 24 Spiele, die ARD und ZDF hätten übertragen können, werden nun bei Sat.1 oder RTL über die Mattscheibe flimmern. Was erwartet uns da?

Das Geranke drumherum. Das wird schlimm werden. Was uns bei der Werbung erwartet, wissen wir noch gar nicht, weil wir eben nicht wissen, was in den Verträgen steht: Ob Kirch ein Werbelaufband unter die Bilder legt, ob er zum Beispiel oben links ein Werbebanner einblendet oder ob er gar beim Torabstoß Werbung einblenden darf. Da wird uns noch einiges zugemutet werden.

Trauen Sie Sat.1 oder RTL prinzipiell zu, eine WM meistern zu können?

Warum denn nicht? Nach Japan und Südkorea können die genauso viele oder wenige eigene Kameras mitnehmen, wie es ARD und ZDF getan hätten. Und Studiosendungen bekommen die Privaten auch hin, schon weil sie allemal bessere Entertainer sind als Informanten. Das Spiel an sich sehe ich doch heute im Fernsehen sowieso nicht mehr, sondern nur noch Ausschnitte, Großaufnahmen und schreiende Trainer. Das ergibt ein verzerrtes Bild. Fußball ist zur Fernsehshow verkommen.

Zu Ihrer Zeit war das noch anders . . .

Wir haben früher versucht, das Spiel zu adaptieren: möglichst nah und real ranzukommen. Heute haben wir eine eigene Fernsehdramaturgie, die zudem auch noch übersteigert ist.

Und die den Fußball langsam aber sicher totsendet.

Ja, ich befürchte, dass dieser Punkt erreicht ist: Fußball ist totgesendet. Er hat sich an das Fernsehen verkauft und bekommt dafür jetzt die Quittung.

INTERVIEW: FRANK KETTERER

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