: Die Seuche, die nicht weicht
Maul- und Klauenseuche wird wegen ihrer leichten Übertragbarkeit immer wieder aufflammen. Die wirtschaftlichen Schäden sind enorm
von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
In den englischen Grafschaften Devon und Northumberland brennen seit gestern die Scheiterhaufen: ein von den Veterinärbehörden angeordnetes Autodafé für Schweine, Schafe und Rinder nach dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche (MKS) im Vereinigten Königreich. Die Länder der Europäischen Union auf dem Kontinent schotten sich bereits seit Mittwoch gegen die Einfuhr von Schlachttieren und von Fleisch- und Milchprodukten aus ganz Großbritannien ab. Belgien verbot den Transport von Schafen und Ziegen.
In Brüssel treffen sich heute die für die Landwirtschaft zuständigen Minister der Europäischen Union, um möglicherweise für alle Mitgliedsstaaten verbindliche Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Seuche zu beschließen. Die deutsche Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) wird bei diesen Beratungen dabei sein, während ihr Staatssekretär Alexander Müller (Grüne) in Bonn eine Sitzung des „zentralen Krisenstabes“ des Ministeriums leiten wird. An dieser nehmen auch die Leiter der Fachabteilungen und Veterinärmediziner des Bundes und der Länder teil. Zunächst einmal müsse die Situation in Großbritannien genau analysiert werden. Erst danach könne über spezielle Maßnahmen zur Prävention oder zur Seuchenbekämpfung diskutiert werden, erläuterte Ministeriumssprecherin Kathrin Ohse der taz. Sie verwies darauf, dass in verschieden Bundesländern inzwischen rund 2.000 Schweine gefunden worden seien, die aus Großbritannien eingeführt worden waren. Amtstierärzte hätten den Tiere Blutproben entnommen, die zur Zeit in der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) in Tübingen analysiert würden. Ohse: „Wir hoffen, dass die Ergebnisse am Montag vorliegen, damit der Krisenstab seine Schlüsse ziehen kann.“
In Sachen Maul- und Klauenseuche ziehen Bund und Länder an einem Strang. In Hessen etwa waren die Veterinärbehörden der 26 Landkreise und kreisfreien Städte von Sozialministerin Marlies Mosiek-Urban (CDU) schon in der vergangenen Woche dazu aufgefordert worden, verdächtige Tiere umgehend zu überprüfen. Die Länder spielen auch mit bei der von Künast angeregten Verteilung von Handzetteln auf den Flughäfen. Reisende nach England werden darauf gebeten, keine Lebensmittel von dort mit zurück nach Deutschland zu nehmen und in England auf einen Besuch in den betroffenen Gebieten zu verzichten. Bei der Seuche handele es sich schließlich um eine „hochinfektiöse Erkrankung“.
Wie ernst Wissenschaftler diese Tierkrankheit nehmen, geht aus einem Bericht der Veterinärmediziner Bernd Haas und Matthias Kramer in der Zeitschrift Forschungsreport des Landwirtschaftsministeriums (2/2002) über den letzten Verdachtsfall in Deutschland im November 1996 zurück. Im bayerischen Landkreis Traunstein hatte ein Tierarzt in einem Mastbestand mit 230 Schweinen an einigen Symptome der Seuche entdeckt. Sofort wurden Gehöft und Ort abgeriegelt. Der Amtstierarzt entnahm Gewebeproben von den Klauenläsionen, Blutproben und Nasentupferproben, die per Polizeihubschrauber zur BFAV nach Tübingen gebracht wurden. Dort wurde der Verdacht ausgeräumt; es handelte sich um eine Vergiftung mit Selen.
Der letzte tatsächliche Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Deutschland liegt 13 Jahre zurück. Die Seuche bleibe allerdings eine ständige Bedrohung gerade auch für die „moderne, intensive Landwirtschaft“, so die Veterinärmediziner Haas und Kramer. „Infizierte Tiere, insbesondere Schweine, scheiden schon vor dem Auftreten deutlicher Symptome große Mengen Virus aus, während andererseits schon geringe Virusdosen zur Ansteckung eines Tieres ausreichen.“ Die verheerenden Folgen schildern sie am Beispiel der MKS 1966/67 in Großbritannien und 1997 auf Taiwan. In Großbritannien mussten rund 434.000 Rinder, Schafen, Ziegen und Schweine getötet werden. In Taiwan breitete sich die Seuche „explosionsartig“ aus. Ausbrüche in Beständen mit zusammen 4,5 Millionen Schweinen wurden gemeldet. Der Exportmarkt brach zusammen.
Vor allem in den Balkanländern kam es in den letzten Jahren immer wieder zum Ausbruch der Maul- und Klauenseuche durch importierte Tiere aus der Türkei. Die wiederum stammten – wie etwa 1996 beim Ausbruch der Seuche in Albanien – aus Indien oder aus Saudi-Arabien. In diesem letzten Fall wurden alle klinisch erkrankten Tiere und die meisten der Kontakttiere getötet. Die Europäische Union finanzierte danach die Impfung von knapp 300.000 Schafen und Ziegen. In der EU selbst wurde die Schutzimpfung schon 1991 eingestellt. In Europa waren keine europäischen Virusstämme mehr in Erscheinung getreten; und gegen „exotische“ war die Impfung ohnehin wirkungslos.
Der Forschungsreport zur Maul- und Klauenseuche im Internet: www.bml.de/forschungsreport/rep2-00/seuche.htm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen