Kommentar: Menschlichkeit verRissen
■ Warum Politik und Zivilgesellschaft am Sandmoorweg versagt haben
Egal, wie sachlich die Vorurteile vorgetragen werden: Menschen als Nachbarn abzulehnen, weil sie Flüchtlinge sind, ist fremdenfeindlich. Kindern einen Garten nicht zu gönnen, weil sie ausländisch sind, ist unmenschlich. Und in Rissen mehrheitsfähig.
Im Konflikt um den Sandmoorweg hat die Zivilgesellschaft versagt. Keine einzige Ins-titution in Rissen hat sich aktiv für die Flüchtlinge eingesetzt: Keine Schule, kein Verein. Nur ein einziger Anwohner hat die Stimme erhoben für die schwächsten, rechtlosesten Bewohner dieser Stadt. Die örtliche Kirche hat es selbst auf Nachfragen abgelehnt, sich einzumischen. Und die erst so engagierte SPD ist auf den Trick mit dem Kinderhospiz hereingefallen.
Sicher, das Hospiz ist auch ein gutes Projekt, und ihm sei jede Mark gegönnt. Der Verein muss auch nicht gleich sein Interesse aufgeben. Aber die Verantwortlichen müssen sich dem Dilemma stellen: Ihr Projekt ist das entscheidende Argument, um zu verhindern, dass Flüchtlinge die Villa bekommen. Deshalb spenden die Rissener jetzt. Das will der Verein nicht sehen. So naiv darf Sozialarbeit, darf Kirche nicht sein.
Die Hauptverantwortung aber trifft die SPD. Indem sie umgekippt ist, hat sie die Vorurteile der Rissener als Argumente anerkannt. Und damit bestärkt. Sie hat sich von der angeblichen „Sachlichkeit“ blenden lassen, die doch schon endet, wenn Andersdenkende nur einmal in Ruhe ihre Meinung sagen wollen.
Was sich in Rissen abspielt, ist eine Schande. Wer Menschenrechte für unteilbar hält, der kann in diesem Land manchmal nur verzweifeln. Heike Dierbach
Berichte Seite 26
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