piwik no script img

Erdbeben für den Frieden

Zeitgleich zeigen die Kinos Babylon und Arsenal zwei Reihen mit neuen israelischen Filmen – und geben damit Einblick in ein Land, das so zerrissen wie lebendig ist

Von solchen Oneliners träumt jeder Schauspielschüler: „Keine Angst“, sagt Eddie zu seiner geliebten Clara, „es ist nur eine Vier auf der Richterskala.“ Dabei reißt gerade die Leinwand des Kinos entzwei, in dem die beiden Jugendlichen Hand in Hand sitzen, der Saal erbebt und von der Decke rieselt Staub. Doch die zwei küssen sich weiter, und der Abspann des Films „Saint Clara“ („Clara Hakdosha“) rollt ab – eine alte Hollywoodweisheit auf den Kopf stellend, die besagt, dass ein Film mit einem Erdbeben beginnen müsse, um sich dann langsam zu steigern.

Nein, das ist nicht Hollywood, sondern eine Serie aktueller israelischer Filme, gezeigt in zwei Reihen in zwei Kinos mit jeweils zwei Namen: „isRael Real – Festival des aktuellen israelischen Films“ im Babylon und „Israelisches Kino der Neunzigerjahre“ im Arsenal. Gemeinsam ist beiden Reihen die Unterstützung der israelischen Botschaft, die damit, wie man unterstellen darf, zeigen will: Israel ist natürlich weit mehr und viel schöner als die „Tagesschau“-Bilder Steine werfender Jugendlicher und schießender Soldaten Glauben machen können.

Aber was ist Israel? Tatsächlich geben die Filme aus dem Gelobten Land gerade auf diese Frage eine Antwort. Denn sie zeigen die Lebendigkeit wie Zerrissenheit der einzigen Demokratie im Nahen Osten mit einer Frische, die man den meisten deutschen Filmen wünschen würde.

Da ist etwa die Geschichte von Eddie und Clara: ein Märchen (Regie und Drehbuch: Ari Folman und Ori Sivan), das auf absurde, oft witzige Weise die Abgründe des immer noch jungen Staates beschreibt. Denn die beiden leben in einem Mikrokosmos des Nahoststaats – der kaputten Welt einer israelischen Schule, benannt nach der Übermutter und früheren Ministerpräsidentin Golda Meir. Clara hat hellseherische Fähigkeiten, die sie zum Wohl ihrer Klasse bei Klausuren einsetzt. Getrieben wird sie dabei von Eddie, der mit seinem Anarchokumpel Rosy einerseits die Mitschüler terrorisiert, andererseits die so zynische wie hohle Machtgeilheit des Direktors bloßstellt. Zum Schluss brennt die Statue Golda Meirs, die halbe Industriestadt flieht ob Claras Prophetie eines drohenden Erdbebens und die kleine Heilige mit dem magischen Blick entschließt sich für die Liebe zu Eddie und gegen ihre übersinnlichen Fähigkeiten.

Von dieser Qualität sind nicht alle Beiträge des Doppelfestivals. Aber nicht verpassen sollte man vor allem zwei Dokumentarfilme, die sehr viel über Israel erzählen: „What I saw in Hebron“ von Dan und Noit Geva sowie „Five Love Stories“ von David Ofek. Ersterer zeichnet die Geschichte eines Blutbads von Arabern an Juden in Hebron 1929 nach. Außerdem schildert er die jetzige Lage in der umkämpften Stadt nach dem Massaker, das ein Jude vor sieben Jahren an Arabern anrichtete – die Ausweglosigkeit des jüdisch-arabischen Konflikts wird eindringlich inszeniert.

Aber das ist eben nicht das ganze Israel, und es ist Ofeks „Five Love Stories“ zu verdanken, dass man dies nicht vergisst. Denn hier wird mit leichter Hand und sehr sensibel anhand von fünf hinreißenden und ganz wahren Liebesgeschichten nebenbei der wahre Reichtum Israels beschrieben: seine Menschen. Und wenn man mit dem Kino träumen wollte, hätte man damit auch das Programm, wie dieses wunderbare Heilige Land endlich zu Frieden kommen könnte: durch eine Politik der Liebe mit der Stärke 4 auf der Richterskala. Mindestens.PHILIPP GESSLER

„isRael Real – Festival des aktuellen israelischen Films“: vom 8. bis 15. 3., Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte

„Israelisches Kino der Neunzigerjahre“: vom 1. bis 15. 3., Arsenal, Potsdamerstr. 2, Tiergarten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen