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Bis dass der Tod entscheidet

Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern: US-Gericht verlangt vollen Beitrag der deutschen Wirtschaft, sonst keine Rechtssicherheit. Unternehmen wollen erst Rechtssicherheit haben

„Wir haben den Eindruck, dass die deutsche Seite mit dem Problem nicht fertig wird“

BERLIN taz ■ Nach der überraschenden Entscheidung einer US-Richterin, Sammelklagen von ehemaligen Zwangsarbeitern gegen deutsche Banken nicht abzuweisen, wächst der Druck auf die deutsche Wirtschaft. Politiker aller Bundestagsparteien forderten die Unternehmen gestern auf, umgehend die vereinbarten Zahlungen zu leisten. „Das Geld muss jetzt her, sonst kommen wir nicht weiter“, sagte Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, im taz-Interview.

Die New Yorker Bundesrichterin Shirley Kram hatte ihre Ablehnung der Sammelklage am Mittwoch mit der schlechten Zahlungsmoral der deutschen Wirtschaft begründet. Bis heute fehlen 1,4 der vereinbarten 5 Milliarden Mark. An die Opfer selbst ist keine Mark ausbezahlt worden. Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr etwa 15 Prozent der Überlebenden. Allein in Tschechien sind im vergangenen Jahr täglich etwa 15 ehemalige Zwangsarbeiter verstorben.

Der Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, kritisierte die Entscheidung der US-Richterin und verteidigte die abwartende Haltung der Unternehmen: „Es war ausgemacht, dass das Geld erst dann gezahlt wird, wenn Rechtssicherheit besteht.“ Das unerträgliche Ping-Pong-Spiel um den Beginn der Entschädigungszahlen geht damit in eine neue Runde.

„Die Sache ist festgefahren“, erklärte Karl Brozik, Repräsentant der jüdischen Opferorganisation „Claims Conference“ in Deutschland, gestern in Frankfurt. Es sei bestürzend, dass sich die Zahlungen an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter erneut verzögerten. Brozik forderte die sofortige Intervention der Bundesregierung.

„Die Unternehmen bringen die ganze Bundesrepublikin Verruf“

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das Thema inzwischen zur „Chefsache“ erklärt. Heute wird er mit Vertretern der Stiftungsinitiative zusammenkommen. Schon gestern trafen sich Experten aus den zuständigen Ministerien im Kanzleramt mit dem Sonderbeauftragten der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff (FDP), um über die neue Lage nach der US-Gerichtsentscheidung zu beraten. Lambsdorff appellierte danach erneut an die deutsche Wirtschaft, rasch die fehlenden Gelder aufzubringen. Das US-Urteil bezeichnete er als „veritablen Kinnhaken“. Er werde jetzt alles daran setzen, die Entscheidung zu revidieren. Dabei sei er sich der Unterstützung der US-Regierung und der Opferanwälte gewiss. Mit etwas Glück könnte in drei bis fünf Wochen eine Entscheidung herbeigeführt werden.

Derweil formiert sich eine ganz große Koalition der Wirtschaftskritiker. So forderte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD, von der Wirschaft, „endlich Geld auf den Tisch zu legen“. Auch CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte der taz, die Unternehmen dürften der US-Richterin nicht den „schwarzen Peter zuschieben“. Man wäre „einen Meilenstein weiter“, wenn die Wirtschaft endlich ihren vollen Beitrag aufbrächte.

Bereits bei einer Anhörung im Januar hatte sich die Richterin über die fehlende Zahlungsmoral der Wirtschaft empört gezeigt. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch Lambsdorff waren jedoch keine weiteren Einzahlungen in den Fonds erfolgt. Grünen-Rechtsexperte Beck warf der Industrie deshalb vor, das Urteil provoziert zu haben. Die ehemaligen Zwangsarbeiter würden damit zu „Opfern von juristischen Winkelzügen und der halsstarrigen Haltung der Stiftungsinitiative“.

Der Sprecher des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte, Lothar Evers, forderte die Wirtschaft auf, die Bankenfrage und die NS-Zwangsarbeit zu entkoppeln: „Die Überlebenden haben keine Zeit, auf die Klärung spitzfindigster Probleme der Bankenhaftung zu warten, bevor sie die erste Mark sehen.“

„Das Geld muss jetzt her, sonst kommen wir nicht weiter“

Die designierte Grünen-Chefin Claudia Roth bezeichnete die Verweigerungshaltung der Wirtschaft deshalb gestern als „moralischen Skandal, der deutlich geächtet werden muss“. LKW/AVL

brennpunkt SEITE 3

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