wir lassen glotzen: Historische Rückschau mit den Augen des DFB
Sombreros, Skat, Koteletten
Das runde Leder als Emanzipationsbremse: Eine Studie des berühmten niederländischen Psychologen F. J. J. Buytendijk (1887–1974) versuchte einmal zu belegen, dass Fußballspiel den Frauen wesensfremd sei. Er hielt Frauen schlicht und ergreifend charakterlich nicht dafür geeignet und unterschied zur Begründung zwischen dem aggressiven Männlichen und dem adaptiven Weiblichen: „Das Fußballspiel als Spielform ist also wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen. Das Treten ist wohl spezifisch männlich; ob darum das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt.“
Ob der Deutsche Fußball-Bund sich in den 50er-Jahren auf diese Studie berief, als er den Frauenfußball für seinen Verband verbot, wissen wir heute nicht. Wir wissen aber um den Stellenwert des Frauenfußballs innerhalb des DFB, nachdem dieser den Frauen das Bolzen wieder offiziell erlaubte; als sich die DFB-Frauen 1989 erstmalig zur Europameisterschaft schossen, da ließ sich die Frankfurter Fußballbehörde ein wahrhaft großzügiges Geschenk einfallen: Alle Siegerinnen durften nachher ein hübsches Porzellanservice von Villeroy & Boch heimtragen.
Diese anschauliche Episode fehlt allerdings in dem „Jahrhundert deutscher Fußball“, das der DFB nach einer Video-Ausgabe jetzt auch als „Jubiläums-DVD“ verkauft. Das muss einen nicht wundern. Schließlich tut sich der DFB nicht gerade leicht mit seinen unbequemen Histörchen, wenn es daran geht, die Geschichte des eigenen Verbandes abzufeiern. Schon in seiner Festschrift „100 Jahre DFB“ hatte der Verband Felix Linnemann, seinen Präsidenten aus der Nazizeit, der später auf eine „Karriere“ als SS-Standartenführer zurückblicken durfte, liebevoll „Papa Gnädig“ genannt.
Fehlerhafte Legenden
Immerhin: Solche Klöpse leistet sich die offizielle optische Rückschau nicht. Dennoch muss man den Eindruck gewinnen, die frühe Zeit sei dem DFB insgesamt etwas unangenehm, denn die erste Hälfte deutscher Fußballgeschichte nimmt in dem circa eineinhalbstündigen Video ganze vier Minuten ein. Gefühlte Zeit bis 1945 gleich null sozusagen. Wie immer dürfen die beliebtesten (und dadurch noch immer nicht richtigen) Legenden nicht fehlen: Dazu gehört der angeblich einzige Auftritt des „Führers“ bei einem Fußballspiel während Olympia 1936, als die Deutschen gegen den Fußballzwerg Norwegen 0:2 verloren (tatsächlich tauchte Hitler häufiger beim Fußball auf). Auch nerven andere ungenaue Fakten. Zum Beispiel, dass Helmut Schön Sepp Herberger 1963 beerbt hätte (Schön ersetzte die Trainerlegende nach dem Länderspiel gegen Finnland 1964), oder dass die Kleckermatsch-Partie 1974 gegen Polen ein WM-Halbfinale gewesen sein soll (gab es damals nicht; das Spiel war das letzte der Zwischenrunde).
Mexico, mi amor
Aber lassen wir uns durch diese Kleinigkeiten nicht ärgern: Die Bilder der Fußballerinnerung sind dafür einfach zu schön und zu tief in uns drin, als dass der DFB uns diese verderben könnte. Ein absolutes Highlight ist die 1986er WM-Truppe, die (an der Spitze die Sombrero-umsäumten Litti und Lodda) mit Schlager-Idol Peter Alexander „Mexico, mi amor“ in die Kamera trällert. Auch die legendäre Kamerafahrt vorbei an den vollhaarigen und kotelettenbesetzten Mitgliedern der 74er Mannschaft vor dem Finale gegen Holland ist nicht von schlechten Eltern (nur zu hoffen, dass diese Art Frisur nie wieder als Retrolook auftauchen wird). Recht amüsant auch die Skatrunde im Quartier der 54er Mannschaft in Spiez und die Ausflugsfahrt der Fritz-Walter-Truppe über den Thuner See, die der zeitgenössische Kommentar mit den Worten begleitet: „Ein Zeichen der Kameradschaft – Alle Mann in einem Boot“. Und natürlich darf die Präsentation der beiden Vogts-Nachfolger nicht fehlen; die köstlichen Karos auf dem Anzug Uli Stielikes haben sich schließlich schon im flüchtigen Moment der damaligen Pressekonferenz auf die Festplatte des kollektiven Fußballgedächtnisses gebrannt.
Wenn der DFB bei der nächsten Gelegenheit noch die Verspanntheit hinsichtlich seiner Vergangenheit überwindet, und wenn er für die nächste Produktion auch noch auf die das Video begleitende, unerträgliche „Wir-wollen-Gema-Gebühren-sparen-Musik“ verzichtet, dann, ja dann wird man diese Bilder der Fußballgeschichte wirklich ungetrübt genießen können. ERIK EGGERS
DFB (Hrsg.): „Das offizielle DFB-Jubiläums-Video“. Mawa Film und Medien Potsdam 2000; auch als DVD
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