Neue grüne Ideen

Starke Schultern müssen mehr tragen, steht in einem Papier, das dem Parteitag der Grünen heute vorgelegt wird. Rückt die Partei nach links, will sie sich in der Frage der Gerechigkeit profilieren?

von MATTHIAS URBACH

Schwerpunkt des Grünen-Parteitages wird heute Nachmittag die Debatte über das neue Grundsatzprogramm bilden. Sechs Stunden sind dafür reserviert. Im Programmentwurf ist deutlich das Bemühen zu bemerken, das soziale Gewissen der Grünen zu betonen.

Der Sozialstaat müsse „umgebaut, nicht abgebaut werden“, heißt es etwa im Teil „Grüne Wirtschafts- und Finanzpolitik“. Die Gesellschaft könne eine „Kultur der Selbständigkeit nur verlangen, wenn sie gleichzeitig eine soziale Absicherung bietet, die im Falle unternehmerischen Scheiterns oder von Erwerbslosigkeit eine zweite Chance für einen Neuanfang ermöglicht“. Auch die Idee der Grundsicherung wird nach wie vor herausgestellt in dem Papier aus der Feder von Parteichef Fritz Kuhn – an dem auch Klaus Müller, Bärbel Höhn und Ralf Fücks mitgeschrieben haben.

Seit langem prägen die Wirtschafts- und Finanzpolitiker der Grünen in der Fraktion, wie Christine Scheel, Oswald Metzger und die neue Staatssekretärin Margareta Wolf, das Bild der grünen Wirtschafts- und Finanzpolitik – das einer „grünen FDP“. Die Realos sind dabei stets vor allem durch mittelstandsfreundliche Positionen aufgefallen. „Starke Schultern müssen einen höheren Anteil zur Finanzierung staatlicher Aufgaben beitragen“, heißt es nun im Kuhn-Entwurf. Deshalb seien die Einkommenssteuer auf Erwerbs- und Kapitaleinkünfte und die Erbschaftssteuer „die Gerechtigkeitssteuern“, da sie nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen besteuern. Eine Absage also an indirekte Steuern wie höhere Mehrwertsteuern, wie sie eher im internationalen Trend liegen. Die „gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, die nicht nach Einkunftsart oder -quelle unterscheidet“, sei das Ziel. Dies steht zwar im Widerspruch zu Instrumenten wie der Ökosteuer, die ja auch eine Verbrauchssteuer ist. Die ist den Autoren aber nach wie vor wichtig: Schließlich sollen Preise, wie es an anderer Stelle heißt, die „ökologische Wahrheit sagen“ – also gesellschaftliche Kosten berücksichtigen.

Kritisch ist auch die Haltung zu neuen Techniken: „Jede Risikotechnologie muss im Fall mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz mit harten Auflagen und Verboten rechnen.“ Im Sinne des Verbraucherschutzes sei mehr Haftung der Unternehmen für ihre Produkte gefordert. Auch eine Haushaltssanierung als Selbstzweck lehnt Kuhn ab: Investitionen in Bildung und Wissenschaft dürften nicht blockiert werden.

Dennoch ist es kein direkt wirtschaftsfeindlicher Programmentwurf: Die Förderung von „Handwerk, Dienstleistern und Landwirtschaft“ ist Kuhn ebenso wichtig wie der Abbau von Hemmnissen bei der Existenzgründung. Doch der Duktus ist deutlich verschieden von dem, was man aus der Fraktion kennt. Nun hat man sich an solche Unterschiede zwischen Grundsatzprogrammen aus der Partei und der Fraktion mittlerweile gewöhnt. Und so liegt auch das Papier etwa auf der Linie der jüngsten Entwicklung der Parteiprogramme – eben hin zu etwas bodenständigeren Visionen.

Dennoch setzt Fritz Kuhn hier einen sehr deutlichen Akzent. Und weil er als Parteisprecher doch sehr viel ernster genommen wird als seine Vorgänger, wird sicher auch das Papier ernster genommen als frühere Parteiprogramme.