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Die Enkel mit den schweren Apparaten

Das junge Theater ist tot, sagen die Medien. Die Presse ist pervers, sagen die jungen Theatermacher. Parallel zum Berliner Theatertreffen werden im Mai zehn RegisseurInnen am Frankfurter TAT ihre neuen Arbeiten zeigen

„Theater ist ein langsamer Prozess. Man muss vorsichtig damit umgehen.“

von CHRISTIANE KÜHL

Vor etwa zwei Wochen zeigte sich in Frankfurt am Main der Weltgeist. Klingt unwahrscheinlich, aber so muss es gewesen sein. Robert Schuster grinst. An diesem Freitag sitzt er ausnahmsweise nicht im Frankfurter Theater am Turm, das er seit anderthalb Jahren mit Tom Kühnel leitet, sondern in einem Café am Hackeschen Markt in Berlin. Die Hauptstadt ist märzgrau, aber hinter den großen Fenstern quietschen gelbe Straßenbahnen, vor ihm steht eine Zitronenmousse, und Robert Schuster ist guter Dinge. Keineswegs grundlos. Zwar ist noch nicht alles unter Dach und Fach, ein Name muss noch gefunden werden und Geld noch aufgetrieben, aber alle machen mit, und das Ereignis steht fest: Im Mai, wenn sich in Berlin auf ein Neues die alten Meister zum jährlich bedeutungsloser werdenden Theatertreffen versammeln, treffen sich in Frankfurt zehn junge Theatermacher mit ihren Ensembles und zeigen am TAT, was sie für relevantes zeitgenössisches Theater halten.

Als Gegentheatertreffen will man die Aktion nicht verstanden wissen – wobei klar ist, dass sie so verstanden werden wird. „Für uns ist es von Interesse, dass etliche junge Leute ihre Arbeiten mal in Frankfurt zeigen und man darüber in einen Diskurs über Politik und Gesellschaft kommt. Das ist keine Kampfansage.“ Der 31-Jährige sagt das merkwürdig naiv, und man weiß nicht recht, ob es sich um Strategie oder Überzeugung handelt. „Es ist doch was Schönes, dass es wieder so was wie ein Generationsempfinden gibt! Und wir am TAT sind in der Situation, alle zusammenführen zu können, weil wir uns persönlich kennen oder, bei aller Unterschiedlichkeit, wegen einer neuen Ernsthaftigkeit achten.“ Diese Idee, sich zu treffen, gebe es schon lange, „aber plötzlich ist da das Gefühl, dass man es auch machen kann, weil gerade so viel Aufmerksamkeit für Theater im Land ist. Dieser Augenblick . . . also Hegel würde sagen, das ist der Weltgeist.“

Fassbarer als der Weltgeist war in den letzten Wochen ein handfestes Mediengespenst. Gestalt anzunehmen begann es vor etwa einem Monat, als nach der Kündigung des Geschäftsführers des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg eine massive Kampagne gegen dessen Intendanten Tom Stromberg gestartet wurde (s. taz vom 8. 2.). Stromberg, vierzig, war Ende September mit einem neuen, jungen Team an der Elbe gestartet. Die Eröffnung, „Haltestelle. Geister“, eine Auftragsarbeit von Helmut Krausser, war ein Totalflop. „The show must go on!“, eine subversive Antichoreografie des Franzosen Jérôme Bel, fand beim Publikum keine Gnade.

Und der Oktober stand im Zeichen einer kapitalen Fehlentscheidung des Kulturmanagers: Statt das Ensemble und die neuen Hausregisseure vorzustellen, zeigte Stromberg Gastspiele künstlerischer Weggefährten aus seiner Zeit am TAT, wo er in den Achtzigern internationale Performances präsentierte. Es folgten ein paar geglückte und eine Reihe nicht geglückter Inszenierungen.

Alles hätte besser laufen können – stimmt. Das Feuilleton von der Süddeutschen Zeitung über die FAZ bis zur Woche und selbst dem Stern setzte da aber schon auf die Radikallösung: Stromberg muss weg. Und die Subventionen, wussten die klugen Köpfe nach nur vier Monaten, gehörten gestrichen. Man könnte das vielleicht noch unter Selbstüberschätzung von Kritikern ablegen, die sich bei Deutschlands größter Sprechbühne stets besonders verantwortlich fühlen. Doch nach Bekanntgabe der Kandidaten des Berliner Theatertreffens, zu dem die traditionelle Journalistenjury gleich vier Inszenierungen vom altehrwürdigen Wiener Burgtheater einlud und einen Berliner Peymann noch dazu, wuchs das Mediengespenst zu neuer Größe. Das junge Theater, trotz aller Unterschiedlichkeiten gerne unter dem Begriff „Poptheater“ subsumiert, hieß es, ist tot. Peng.

Das Irritierende an der Angelegenheit ist, dass dieses Theater überhaupt erst vor zwei, drei Jahren ins Leben geschrieben wurde. Gegeben hat es Theater in Abgrenzung zur bildungsbürgerlichen Kanonpflege natürlich auch vorher, als versprengte freie Produktionen sowie an prominenten Orten wie etwa Kampnagel Hamburg, im Münchner Marstall oder an der Berliner Baracke. Plötzlich aber wurden diese Produktionen salonfähig und mit viel Druckerschwärze in größere Häuser gepusht. Alles unter 35 wurde gekauft: „Nach anderthalb Jahren wurden uns von Intendanten Inszenierungen angeboten, die noch nie etwas von uns gesehen hatten“, erzählt Schuster, der wie Tom Kühnel und Thomas Ostermeier die Berliner Ernst-Busch-Schule absolviert hat. Und blickt durchs Café, als könnte er so viel blinde Hilflosigkeit von erwachsenen Menschen bis heute nicht fassen.

Der Run auf die Arbeiten junger RegisseurInnen und AutorInnen hatte ein wenig mit ihrer ästhetischen Qualität und eine Menge mit Überdruss am stagnierenden Betrieb zu tun. Noch immer saß die 68er-Generation der Jürgen Flimms, Peter Zadeks und Claus Peymanns fest im Sattel, nicht gewillt, die Zügel abzugeben. Politisch und künstlerisch hatten sie in den Sechzigern, Siebzigern Aufbruch gestaltet; ihre Selbstorganisation aber blieb patriarchisch und duldete höchstens Regieassistenten. Eine Folgegeneration gab es nicht, durchsetzen konnten sich nur begnadete Einzelkämpfer wie Frank Castorf. „Das ist ja das Perfide an der Situation: dass die nie einen rangelassen haben, bis sie wirklich in Rente gehen. Und dann nicht an ihre Söhne weitergeben, sondern an die Enkel. Und wir sitzen plötzlich da, mit 30 Jahren oder mit 29, die schweren Apparate in der Hand.“ Für den Katzenjammer, der sich nicht nur in Hamburg, sondern auch bald nach den Neustarts am TAT und der Schaubühne eingestellt hatte, hat Schuster entsprechend kein Verständnis. „Das muss man doch mal klar sagen: Wir haben nie gesagt: Her mit den Apparaten! Es war der Jugendwahn der 68er, die Häuser an ganz Junge zu verschleudern. So eine Fitnessperspektive.“

Wenn man heute in Hamburg vor dem Schauspielhaus steht, ist man fast überrascht, dass der klassizistische Bau dort groß und majestätisch wie eh und je thront. Sein Intendant hingegen scheint ein wenig geschrumpft zu sein. Tom Stromberg, den man seit seiner Zeit als Expo-Kulturmanager nur noch im dreiteiligen Anzug mit mindestens ebenso vielen Handys sieht, sitzt im Wollpulli im Intendantenzimmer und trinkt Tee. Über dem Tisch hängen Fotos von Heiner Müller, Elke Lang und Fassbinder, „dem größten deutschen Künstler überhaupt“. Ein rotes Schild, das „Glück“ verheißt, scheint ein wenig unentschlossen hochkant gegen die Wand gelehnt. Ob er nach der massiven Kritik der letzten Wochen kompromissbereiter ist? „Ich denke darüber nach, einen kommerziellen Bootsverleih aufzumachen von der Müritz nach Berlin. Wenn man da losfährt, könnte man eigentlich bis nach Berlin fahren, aber leider muss man das Boot vorher wieder zurückbringen. Wenn das organisiert wäre wie bei Interrent, mit Abgabe am Zielort, könnte man einen wunderbaren 14-Tage-Trip machen. Statt Theater. Habe ich damit Ihre Frage beantwortet?“

Tom Stromberg raucht ununterbrochen und versteht die Welt nicht mehr. „Ich halte mich für einen riesigen Spießer. Das ist wohl das Problem. Wenn ich mir Fassbinder angucke, finde ich uns so was von brav, dass ich überhaupt nicht verstehe, was für Irritationen das sind, die wir auslösen.“ Seinen Job als Intendant definiert er als „Raum geben, künstlerischen Raum geben“, vor allem Leuten, die ebendiesen untersuchen wollen. Wach halten soll Theater, in einen Dialog treten mit dem Publikum, das stets mehr als Teil eines Abspielapparats sein muss. So die Theorie.

In der Praxis ist man nicht so weit, aber das findet Stromberg normal in einer Situation, in der sich die Schauspieler und Regisseure erst einmal gegenseitig sowie das Haus und ihr Publikum kennen lernen müssten. „Ich gehe erst, wenn ich im Zuschauerraum sitze und alles Mist finde, was wir machen.“ Aus dem Ensemble kam der Wunsch nach einem Dramaturgen, „einem zweiten Menschen mit einer starken Vision“, und der werde gesucht. Die mediale Schlammschlacht der letzten Wochen jedenfalls tut er ab als „eine Form von Cholerik, die man aushalten muss. Bei den Kritikern verabschiedet sich schließlich auch gerade eine Generation.“ Ein reaktionäres Roll-back will er da nicht ausmachen. „Das ist das letzte Aufbäumen. Die haben einfach zwei Jahre gebraucht, um zum Gegenschlag auszuholen.“

„Wir haben nie gesagt: Her mit den Apparaten! Das war doch der Jugendwahn der 68er.“

An der Schaubühne in Berlin möchte man auch nicht von einem neuen Konservativismus sprechen. Lieber von beschämenden Pressepraktiken. „Wie die Leute in Hamburg für das, was sie versuchen – und das ist genau das, wofür sie engagiert wurden – fertig gemacht werden, ist pervers.“ Thomas Ostermeier kippelt auf seinem Stuhl. Bei Sasha Waltz, zwei Stühle weiter, kippelt eher die Fassung. „Das ist gefährlich. Theater ist ein ganz langsamer Prozess. Man muss vorsichtig wie mit einer Pflanze damit umgehen. Es ist auch ein Freiraum, und den lassen wir uns verflixt noch mal nicht nehmen.“ Die Nominierung zum Berliner Theatertreffen schockt am Lehniner Platz hingegen keinen: „Das soll man nicht so richtungweisend nehmen. Das ist das letzte Jahr dieser Jury, hier verabschiedet sich eine Garde von Kritikern von ihren Künstlern. Das ist völlig okay, dass die es sich noch mal gut gehen lassen“, kommentiert Ostermeier milde. Skeptischer ist er mit Blick aufs Ganze: „Das Theater könnte ein Problem bekommen, wenn es nur an einer Generation festhält, denn die wird älter. Und was soll dann kommen? Wenn man jetzt alles totschlägt, gibt es nichts mehr, was später die Kästen füllen könnte.“

Kästen und Freiräume – darum geht es. Wer darf sie nutzen, von wem legitimiert? Zuschauerzahlen allein, da herrscht Einigkeit, können es nicht. Wobei man ohne Zuschauer auch nicht arbeiten kann, wie das Stefan Bachmann in Basel und Barbara Mundel in Luzern gerade leidvoll erfahren. Diskutiert wird hingegen die Struktur des Publikums. Seit Johann Kresnik Claus Peymann vorwirft, vor dem Berliner Ensemble stünden nur Luxuslimousinen, zählt dieser für die Journalisten die Fahrräder.

Elisabeth Schweeger, früher Dramaturgin des Marstalls und ab Herbst Intendantin des Schauspiels Frankfurt, verortet die Krise übergreifender: Weil das Bürgertum seine Vormachtstellung verliere, würden alle seine Institutionen in Frage gestellt. Auch die Kästen. Wenn diese nicht mehr als Freiräume genutzt werden, hat sich das deutsche Subventionsmodell jedenfalls endgültig überlebt. Wie hingegen diese Freiräume am besten gestaltet werden, zeigt sich allein im Prozess.

„Die 68er sind für Ideale, für das Sehnsuchtspotenzial des neunzehnten Jahrhunderts auf die Barrikaden gegangen“, sagt Robert Schuster vor den gelben Straßenbahnen. „Die wussten immer, was Recht ist und was Unrecht. Wir wissen das nicht. Dazu stehen wir.“ Na ja. Manchmal immerhin weiß Schuster, was richtig ist. Momentan zum Beispiel die Planung der „experimenta 7“ – so der gestern von der Akademie der Darstellenden Künste freigegebene Name. „Es ist so eine Lust, zu sagen, innerhalb von zehn Tagen bauen wir alles um! Wir realisieren eine Idee, von der wir nicht wissen, wie wir sie finanzieren – aber wir tragen das Risiko. Und danach sollen sie uns doch alles wegnehmen.“ Jetzt lächelt er wieder. Diesmal ganz entschieden.

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