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„Ich fürchte mich vor einfachen Lösungen“

Interview JASMINA NJARADI

taz: Herr Djindjić, die Entscheidung der Nato-Führung, die jugoslawische Armee in einen Teil der entmilitarisierten Zone im südlichen Kosovo zurückkehren zu lassen, ist Ihrer Meinung nach „nur ein erster Schritt“. Was wäre denn der richtige Weg zur Lösung der Krise im südlichen Serbien?

Zoran Djindjić: Die internationalen Truppen im Kosovo müssen so schnell wie möglich begreifen, dass sie sich mit dem albanischen Terrorismus auseinander setzen müssen, um nicht zu seinen Geiseln zu werden. Sonst könnten sie letztendlich gezwungen werden, sich geschlagen und beschämt zurückzuziehen. Ihre Aufgabe war es, extremistische Kosovo-Albaner und bewaffnete Zivilisten zu entwaffnen. Das ist ihnen nicht gelungen. Jetzt stehen sie vor der Entscheidung, sich aktiv einzumischen und die Übergriffe auf den Süden Serbiens zu beenden.

Aber würden sie damit nicht den Eindruck erwecken, sich auf die Seite Serbiens zu schlagen?

Allerdings. Und sie würden riskieren, dass die Krise auch auf das Kosovo übergreift. Inzwischen ist klar, dass der albanische Extremismus die Stabilität in der ganzen Region gefährdet. Der albanische Terrorismus ist eine Krankheit. Und die kann nur geheilt werden, wenn man sie nicht leugnet, sondern erkennt. Wenn die internationale Gemeinschaft offen zeigt, dass sie gegen das ist, was die albanischen Terroristen im Süden Serbiens machen, könnte das jene Kosovo-Albaner frustrieren, die die terroristischen Übergriffe unterstützen.

Halten Sie eine politische Lösung überhaupt für möglich?

Die serbische Regierung hegt da keinerlei Illusionen. Wir wissen, dass von den politisch aktiven Albanern niemals alle eine politische Lösung akzeptieren werden. Wir reden zwar die ganze Zeit von einer politischen Lösung, aber dabei dürfen wir uns nichts vormachen. Wir müssen auch die professionellen Sicherheitsstrukturen ausbauen, die dort noch viele Jahre nötig sein werden, um die Region vor dem Extremismus zu schützen. Und dazu benötigen wir logistische und finanzielle Unterstützung, damit wir Truppen ausbilden können, die mit dem größten Problem in Europa konfrontiert sein werden: einem offenen Terrorismus. Die Wurzeln des Extremismus liegen im Kosovo, und seine jüngsten Früchte sehen Sie im Süden Serbiens. Auch dort werden wir noch so lange Probleme mit ihm haben, bis ein brauchbares Konzept für das Kosovo gefunden ist.

Wie sähe Ihrer Meinung nach ein gutes Konzept für das Kosovo aus?

Man muss den Albanern klar machen, dass sie ihre Ziele nur schwer werden verwirklichen können, solange sie die Serben als ihre Feinde ansehen, denn ihre Zukunft, ihr Weg nach Europa führt über Serbien. Das müssen natürlich auch die Serben begreifen, und sie müssen das Zusammenleben mit den Albanern als Kompromiss akzeptieren, weil wir sonst für alle Zeiten einen Krisenherd haben werden. Ich bin gegen radikale Lösungen, gegen unabhängige und ethnisch reine Staaten, denn all das sind Anachronismen, die ins 19. Jahrhundert gehören.

Glauben Sie, Ihre Partner im Westen sehen das genauso wie Sie?

Ich muss sagen, dass einige Kreise in der internationalen Gemeinschaft zur Verbreitung von Illusionen beitragen, etwa indem sie Hashim Thaci [den Führer der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK; die Red.] im Weißen Haus und im englischen Parlament empfangen. Es ist schon merkwürdig, dass er als Partner für ernsthafte politische Verhandlungen angesehen wird, anstatt auf der Liste des Haager Kriegsverbrechertribunals zu stehen. So was wird doch im Kosovo als Beweis dafür angesehen, dass sich Gewalt auszahlt. Auf internationalem Niveau muss gezeigt werden, dass sich die Anwendung von Gewalt nicht auszahlt. Heute haben die Extremisten im Kosovo einen größeren Einfluss als die gemäßigten Politiker, und das ist die Wurzel des Problems. Wenn wir heute mit einem gemäßigten Albaner verhandeln würden, wäre er morgen nicht mehr am Leben. Ich habe versucht, mit einigen in Kontakt zu treten. Aber die haben nur gesagt: „Wenn wir uns mit dir treffen, können wir auswandern. Das wäre unser Todesurteil.“ Wenn das heute so ist, wo im Kosovo 50.000 fremde Soldaten stationiert sind, was wird dann erst morgen sein, wenn die weg sind?

Wie denken Sie über eine Zusammenarbeit Ihrer Regierung mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal im Zusammenhang mit einer Auslieferung von Slobodan Milošević?

Was mit dem ehemaligen Präsidenten Milošević passiert, ist in erster Linie eine Angelegenheit Serbiens. Wenn ausreichend Beweismaterial zusammengetragen worden ist, um eine Untersuchung gegen ihn einleiten zu können, wird das geschehen. Jeder normale Mensch in Serbien weiß, dass all die Gräuel nicht ohne Milošević hätten organisiert werden können. Ich finde, man muss den serbischen Rechtsinstitutionen eine Chance geben, ohne Druck ihre Arbeit zu tun. Immerhin haben wir bewiesen, dass wir fähig sind, unsere Probleme selbst zu lösen: Wir haben aus eigener Kraft schon das größte europäische Problem gelöst, indem wir das Milošević-Regime stürzten. Genauso werden wir in absehbarer Zeit die Voraussetzungen dafür schaffen, Milošević vor Gericht zu stellen.

Zusammenarbeit mit dem Tribunal heißt ja nicht nur die Auslieferung Milošević’, sondern auch aller anderen wegen Kriegsverbrechen gesuchter Personen. Beweismittel müssen vorgelegt werden. Wann wird damit begonnen?

Schon diese Woche werden die Justizminister Serbiens und Jugoslawiens nach Den Haag fahren, wo sie mit Vertretern des Tribunals Gespräche führen werden über die Art der Zusammenarbeit. Aber ich habe schon betont, dass man unseren Institutionen die Chance geben muss, zu beweisen, dass sie auch aus eigener Kraft damit fertig werden können. Uns wird vorgehalten, dass auch Bosnien-Herzegowina und Kroatien einige Angeklagte an Den Haag ausgeliefert haben. Aber meiner Meinung nach kann man das nicht vergleichen. In Kroatien haben die demokratischen Kräfte erst nach dem Tode des Präsidenten Franjo Tudjman gesiegt. Dort steht die heutige Regierung in der Tradition der alten, personell und ideologisch. Und auch in Bosnien ist Alija Izetbegović immer noch politisch präsent. In Serbien haben wir es mit einer völlig anderen Ausgangssituation zu tun. In Serbien war Milošević lebendig und gesund, als wir ihn besiegten. Gebt uns zwei oder drei Monate. Wir haben schließlich Ende Februar, nur wenige Wochen nach dem Antritt unserer Regierung, den Chef der Geheimpolizei verhaftet – ist das etwa nichts?

In welchem Zusammenhang steht die Verhaftung des Chefs der Geheimpolizei, Rade Marković, mit einer möglichen Verhaftung Milošević’?

In unmittelbarem Zusammenhang. Ich hatte Anfang Oktober letzten Jahres schon gesagt, dass es Beweise gebe, auf deren Grundlage man Rade Marković verhaften könnte. Aber der neue jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica war der Ansicht, dass man abwarten sollte, bis genügend Beweise zusammengetragen seien. Schon im September hatte ich eine Videokassette mit der Aussage des Polizeichefs von Zvornik erhalten. Darauf gab er, weil er nicht sicher war, ob er am Leben bleiben und in der Lage sein würde, später als Zeuge auszusagen, eine Erklärung ab, mit der er Rade Marković des Mordes an dem serbischen Freischärler „Arkan“ beschuldigte. Und was den Mordanschlag auf den serbischen Nationalisten Vuk Drašković 1999 angeht, so war mir schon damals klar, dass Marković persönlich keine Gründe dafür haben konnte, die Beseitigung Drašković’ zu befehlen. Ich war überzeugt davon, dass er dabei jemandes Befehle ausführte. Und da es im Serbien Milošević’ nur wenige Personen gab, die dem Chef der Geheimpolizei befehlen konnten, jemanden zu liquidieren, werden wir sehr schnell beweisen können, wer die Attentate auf „Arkan“ und Drašković angeordnet hat.

Herr Djindjić, sowohl Serbien als auch die internationale Gemeinschaft gehen immer noch davon aus, dass Montenegro in der jugoslawischen Föderation bleiben wird. Was passiert, wenn Montenegro doch beschließen sollte, die Föderation zu verlassen?

Wir haben unsere Position in dieser Frage nicht geändert: Der jugoslawische Staat muss reformiert werden, und wir brauchen eine gewisse Zeit, um zu sehen, ob der Staat so funktioniert oder nicht. Wenn das nicht möglich sein sollte, dann werden wir friedlich auseinander gehen. Was bei einem Referendum passiert, weiß niemand, aber es wäre dumm von uns, wenn wir nur für den Fall planen würden, der für uns angenehmer ist. Serbien wird nicht aufhören zu existieren, wenn es Jugoslawien nicht mehr gibt. Aber die Angst vor den Folgen einer Auflösung zwingt mich doch zur Vorsicht. Und deshalb plädiere ich auch weiterhin dafür, ein wenig abzuwarten, weil es uns sonst eines Tages Leid tun könnte. Slobodan Milošević hatte auch damit begonnen, Jugoslawien umzustrukturieren, und am Ende haben hunderttausende ihre Häuser verloren, ihre Familien oder gar ihr Leben. Ich fürchte mich vor einfachen Lösungen, meist handelt es sich um einen Trugschluss. Auf dem Balkan sind alle Lösungen kompliziert.

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