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„Hörsturz in den Rundfunkrat“

■ Das Bürgerhaus Weserterrassen quoll am Freitag aus allen Nähten. „Hörsturz“ bat 50 MusikerInnen zur Rettung vom Kultursender „Radio Bremen 2“ und etwa 500 HörerInnen kamen und feierten Bremer Protestkultur

Hörsturz ist keine Sturzgeburt. Wie die Jungfrau zum Kinde kam aber Regina Dietzold zu ihrer Interessenvertretung von Radiohörern allemal. Nichts ahnend schrieb die passionierte Radio Bremen 2-Hörerin im Sommer 2000 einen Leserbrief an den Weser-Kurier. Darin formulierte sie ihre Sorgen über die drohenden Kürzungen (die taz berichtete) nicht ganz undeftig. Anrufe und Briefe von GesinnungsgenossInnen prasselten auf sie nieder. Man traf sich, quatschte, schluchzte, lachte, sammelte Unterschriften, schrieb Briefappelle an den neuen Intendanten – und irgendwann konnte man sich nicht mehr darüber hinwegtäuschen: Eine echte Bürger-Ini war geboren. Sie wuchs und wuchs und wuchs, auf etwa 50 MitmischerInnen. Und wie weiland in Wackersdorf oder Gorleben verbrüdern sich darin die unterschiedlichsten Rassen, Klassen, Altersstufen.

Nicht dass Regina Dietzold im wirklichen Leben nicht ausgelastet wäre. Da umgarnt sie nämlich im Auftrag der Bauindustrie Betonmischer oder Kräne mit verkaufsfördernder Lyrik, und zwar durchaus nicht ungern. Jetzt aber ist sie begeisterte Ini-Aktivistin. Und bei der HörsturzNacht im Bürgerhaus Weserterrassen strahlen ihre blauen Augen allen ins Gesicht: „Hörsturz macht furchtbar viel Spaß“, was MedizinerInnen durchaus erstaunen dürfte. Nach Parzellen-Krieg, Großmarkt-Aufruhr und diversen Straßenbau-Protesten drängt sich allmählich folgender Verdacht auf: Vermutlich handelt es sich bei all diesen Dingen um gezielte Maßnahmen der Stadt zur Erquickung ihrer BürgerInnen, jetzt wo Musical und Oceanpark kippeln. Denn Protestieren ist sowieso der viel viel schönere Event.

Diese These bestätigte auch die HörsturzNacht. Anstelle dröger Diskussionsrunden wurde gefestet, abwechseln in Wort und Musik. Und natürlich auch auf Kosten anderer. Zu diesem Zwecke lud man Norbert Kentrup. Schließlich ist der Urvater der Shakespeare Company berühmt dafür, wie er ein distanziertes Verhältnis zur Macht in erheiternde, kluge Worte gießt. Doch es sollte auch sicht- und hörbar sein, dass es hier um die Rettung auch schwieriger Kultur geht. Und so humorten nicht nur Mark Scheibe und Ralf Benesch. Es wurde eben auch ein gewisser Ryohei Hirose Hymn zeitgenössisch geflötet. Bei der Kammerphilharmonie hat man übrigens vergessen anzuklopfen. Die riefen dann von sich aus an und waren nun auch vertreten.

Warum? Kentrup erklärt das so: „Die Solidarität die Radio Bremen der Bremer Kunstszene erwies, geben wir nun dessen Mitarbeitern zurück. Ohne Radio Bremen hätte es die Shakespeare Company so wohl nicht geschafft. Herzlichen Dank.“ Er erklärte das in das bekannte Mikrophon in Rot. Doch darauf fehlte das RB2-Logo, und zwar das alte wie das sogenannte „dafür-wollen-wir-unsere-Gebühren-nicht-verschwendet-wissen“ Neue. Die neue Programmdirektorin Schreiner hat nämlich die Übertragung der Veranstaltung übersagt. Jetzt haben sie einige RB-Techniker privat zu Dokumentationszwecken aufgenommen. Zeit für Randale?

Die Hörstürzler begannen damit zu erklären: Wir sind nicht politisch, „wir wollen an niemandes Stuhl sägen“ und wir freuen uns aufrichtig, dass Dr. Glässgen mit uns ins Gespräch kommen will. Doch als es hieß, er sei wegen Krankheit abwesend, tönt es mit einer gewissen Lust zur Renitenz aus dem Publikum: „Na, dann wünschen wir ihm gute Besserung.“ Und unter den anwesenden RedakteurInnen lassen sich so einige finden, die ihren Intendanten und Frau Schreiner nicht mehr recht mögen. Sie bedauern das Fehlen von Gesprächen mit den betroffenen Mitarbeitern und diagnostizieren ein mangelndes Verständnis der Bremer Verhältnisse, da Glässgens Hauptwohnsitz nach wie vor angeblich Hamburg sei. Als dann das stets beliebte Scherf-Bashing kam und dieses kulminierte in einer Beschreibung seiner Umarmungs-Taktik, welche bisweilen in eine Erdrosselung des Umarmten einmündet, lag das Publikum gaggernd unter den Stühlen. Hintergrund: Scherf hat den Kürzungsbeschluss, Radio Bremen innerhalb von fünf Jahren von 200 auf 150 Millionen zusammen zu streichen mitunterschrieben. Auch der Rundfunkrat, der sich als Querschnittsvertretung des Bremer Bürgertums versteht, wurde gescholten: Statt zu kontrollieren, schreibe man offenbar von den Schönrednereien der Programmdirektion ab. Zwischen den Programmpunkten wurden im ebenfalls vollgequetschen Bürgerhausflur Beschwichtigungsbriefe herumgereicht, die die Rats-Vorsitzende Roswitha Erlenwein an besorgte BürgerInnen verschickte. Sie beteuern, „die bisherigen Inhalte werden nicht nur in vollem Umfang forgeführt“, sondern überdies durch das neue NordWest-Radio ab 9/2001 der Sendebereich erweitert. Zur Abhilfe von zu viel positive thinking bat Co-Moderator Detlef Michelers das Publikum zum Kanon: „Hörsturz gehört in den Rundfunkrat, Hörsturz...“ Und es wurde kräftig gejohlt – fast wäre man bis in bester Bayernzelt-Manier auf die Stühle gestiegen und hätte geschunkelt.

Als Motto wählte man Fritz Pleitgens Satz zum Theater über die Fußball-WM-Rechte: „Der Zuschauer hat auch Rechte.“ Zumal er das Programm selber bezahlt - auch wenn das im kleinen Ländle Bremen eben nicht ganz stimmt, was natürlich hier nicht erwähnt wurde.

Natürlich fielen auch die Zahlen der fantastischen neuen Mediaanalysen. Um fast ein Drittel sei das RB2-Publikum auf 36.000 gestiegen – eben keine Minderheit, sondern für Kultur sehr viel. Der Altersquerschnitt dieser Analysen mit seiner Dominanz der 50-jährigen wurde durch die vielen jungen Popwunderwelt-Menschen mit „Hörsturz“-Stickern relativiert. Auch dann, wenn vier besonders schicke young ladys gestanden, sie seien nur gekommen wegen Bremens bestaussehenden Mann, nein, nicht Norbert Kentrup, sondern Mark Scheibe. Der ulkte in bester Kunze-Westernhagen-Parodie: „Ich finde es bei Euch ziemlich nett, ihr seid so engagiert, ihr ergreift Partei.“ Das kann als Schlusswort stehen bleiben. bk

Hörsturz trifft sich jeden Montag in den Weserterrassen um 18.30h (heute Abend ausnahmsweise nicht), Tel.: 447238

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