: Alle finden: Physik ist doof
■ Didaktiker der Deutschen Physikalischen Gesellschaft tagen in Bremen und schlagen Alarm: Kaum ein Schüler lernt gern das Fach, das Motor der Technik-Innovation ist
Physik ist das „unbeliebteste Schulfach“, hat die Baden-Württembergische Akademie für Technikfolgen-Abschätzung herausgefunden. Zwei Drittel der Schüler wählen es zum frühest möglichen Zeitpunkt ab. Die Folgen: Kaum jemand studiert Fächer, die Physik-Kenntnisse erfordern. In diesem Wintersemester haben sich an der Bremer Uni zum Beispiel gerade acht Studierende im Fach Physik für das Lehramt eingeschrieben. Es gibt in der ganzen Stadt gerade 15 Referendare mit dem Fach Physik. Die Didaktiker der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) veranstalten in dieser Woche an der Bremer Universität eine Tagung, um darüber zu beraten, wie man Physik wieder interessanter machen kann.
Denn die absehbaren Folgen sind katastrophal: Allein in der Stadt Bremen werden Jahr für Jahr dutzende von Physik-Lehrern in Pension gehen. Es wird einen dramatischen Mangel geben. Auch die Industrie klagt über fehlende Physiker und „bedient“ sich bei den jungen Staatsexamens-Kandidaten.
Die Physik ist der Motor der technischen Innovation. Gleichzeitig ist die Misere des Physik-Unterrichtes in der Schule umfassend. Prof. Werner Schneider aus Erlangen, der Vorsitzende des Fachbereichs Didaktik in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft: „Der Unterricht gibt Antworten auf Fragen, die die Schüler nicht stellen, und geht nicht auf die Fragen der Schüler ein.“ Die Lehrplan-Vorgaben verhinderten problemorientiertes Unterrichten, in Bayern mit seinem Zentralabitur sei es schlimmer noch als in Bremen.
Aus Sicht der Didaktik, ergänzte der Bremer Professor für die Didaktik der Physik, Hans Niedderer, gibt es ein weiteres Problem: Physik-Lehrer neigen dazu, sich als Vertreter der „exakten“ Wissenschaft darzustellen und schnell mit „richtig“ und „falsch“ zu reagieren. Das mögen Schüler genauso wenig wie den ständigen Hinweis darauf, dass dieses oder jenes Thema ein Jahr vorher schon behandelt wurde und also „zu wissen“ wäre. Dieser Stil ist für die Schüler „anstrengend“, sagt Niedderer, verhindert das schöne Gefühl des Lernerfolgs. Aber didaktische Fragen gelten wenig unter Lehramts-Studenten. An ihren Fachbereichen haben sie ohnehin damit zu kämpfen, dass sie nicht als „richtige Physiker“ anerkannt werden .
Dabei liegen es auf der Hand, wie die Didaktiker den Physik-Unterricht „revolutionieren“ würden, wenn sie es denn könnten: Mehr „problemorientierte“ Zugänge schaffen, mehr Projektunterricht, mehr moderne Medien einsetzen. Es gibt Physik-Bücher, die nach aktuellen didaktischen Konzepten aufgebaut sind. Den Veranstaltern der Bremer Tagung der Physikalischen Gesellschaft fällt „Galileo“ ein und „Physik – um die Welt zu begreifen“, das unter Mitarbeit des Kieler Institutes für die Pädagogik der Naturwissenschaften erarbeitet wurde. Beide sind aber an Bremer Schulen nicht zugelassen. Gearbeitet wird nach dem guten alten Kuhn-Werk, das die Eltern der derzeitigen Schüler noch kennen.
Im Foyer vor der Tagung steht ein imposanter Schuber mit einem 25-bändigen Werk, daneben ein Bildschirm. Video-Encyclopedia of Physics Demonstrations, steht drauf: 25 DVDs mit insgesamt 600 Experimenten, als Video-Film mit den erforderlichen physikalischen Erklärungen. Das wäre ein Unterrichtsmittel für modernen Physik-Unterricht. Aber bisher wollte kein deutscher Verlag eine Übersetzung für die englischen DVDs finanzieren. Wahrscheinlich aus gutem Grund: In welchem Physik-Fachraum findet sich neben den gespendeten Kisten ein aktueller PC mit multimedia-fähigem DVD-Laufwerk? K.W.
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