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Malen nach Skandalen

In großformatigen Schaubildern untersuchte Mark Lombardi die enge Verzahnung von Banken, Politik und Mafia. Letztes Jahr fand man den New Yorker Politkünstler erhängt in seiner Wohnung

von THOMAS GIRST

Mark Lombardi hatte etwas von einem Besessenen. Er war einer von den Leuten, die mit Feuer in den Augen reden und immer weiterreden. Genau ein Jahr ist es her, dass der amerikanische Künstler auf dem Höhepunkt seiner Karriere am 22. März 2000 in seinem Brooklyner Atelier tot aufgefunden wurde. Einen Tag vor seinem 49. Geburtstag und einen Tag nachdem er bei seiner Galerie Pierogi 2000 fast hundert Werke zur Aufbewahrung vorbeigebracht hatte.

Neben zahlreichen Skizzen und Vorzeichnungen hinterließ Lombardi dutzende, oft über ein mal drei Meter große Schaubilder, die penibel genau internationale Bank- und Firmenskandale der letzten Jahrzehnte aufzudröseln versuchen. Die Diagramme tragen Namen wie „Inner Sanctum: Der Papst und seine Banker“ oder „Banca Nazionale de Lavoro, Reagan, Bush, Thatcher und die Bewaffnung des Irak“. Es geht um Geldwäsche, Korruption und Drogengeschäfte. Nicht selten sind die Namen bekannt: Bill Clinton ist da manchmal zu lesen oder George W. Bush, der in den späten Siebzigerjahren über ein paar Mittelsmänner ausgerechnet mit Omar bin Laden Ölgeschäfte machte.

Kurz vor seinem Tod erklärte der früher abstrakt arbeitende Lombardi in einem Video, was es mit seinen „narrativen Strukturen“ auf sich hat. Seit 1994 hatte er versucht, die oftmals über jedem Gesetz stehenden Koppelungen von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen offenzulegen. So wollte er etwa wissen, warum über 20.000 Firmen Geschäftsbeziehungen zur Steueroase der Cayman Islands aufrechterhalten, ein Inselstaat mit 30.000 Einwohnern und einem Bankenguthaben von insgesamt über 400 Milliarden Dollar. Dann wieder untersuchte er, wie die arabische BCCI Bank in den 80er-Jahren nicht nur von Drogenhändlern, sondern auch von der britischen und amerikanischen Regierung dazu genutzt wurde, die Guerrillakrieger in Afghanistan zu unterstützen. Lombardis nimmermüder Versuch, gordisch verwickelte Machenschaften mit Doppelpfeilen und gestrichelten Linien darzustellen, brachte ihm im Nachruf der New York Times den Kommentar ein, er sei der investigative Journalist unter den Konzeptkünstlern gewesen.

Als man Lombardi vor einem Jahr erhängt in seinem Atelier auffand, wollten viele aufgrund der brisanten Themen seiner Werke nicht an Selbstmord glauben. Seine Arbeiten hatten mehrmals über fingierte Suizide ebendieser Art berichtet. Zudem war ein Freund des Künstlers bei Nachforschungen zu einem großen Firmenskandal in Houston vor kurzem ermordet worden. Lombardi benutzte seither stets Pseudonyme und wurde unmittelbar vor seinem Tod telefonisch wiederholt gewarnt, die Arbeit an einer großen Zeichnung über die Vernetzung von New Yorks fünf großen Mobfamilien einzustellen. Schon deshalb ließ er Vorsicht walten: Ständig wies er darauf hin, dass seine Kunst sich ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Quellen speist, von Zeitungsartikeln bis zu Gerichtsprotokollen. Nach kurzer Zeit stellte der 90. Precinct des New York City Police Department die Mordermittlungen zu Lombardi trotzdem ein. Sein fensterloses Atelier war von innen verriegelt, über den Boden verstreut lagen lauter aufgeschlagene Kunstzeitschriften. Eine letzte Notiz fand sich nicht, dafür baumelte neben dem Künstler eine halb leere Champagnerflasche. Familie und enge Bekannte wollen Gedanken an einen Mord deshalb gar nicht erst aufkommen lassen. Der Selbstmord war allemal inszeniert, ein letztes Statement: „Eine falsche Entscheidung in einem schlechten Moment“, wie sein Freund und Galerist Joe Amrhein im Nachhinein erklärt. Der Künstler litt unter Tablettensucht, Alkohol- und Beziehungsproblemen, hatte vor kurzem von der Existenz eines unehelichen Kindes erfahren, sein Auto einen Totalschaden erlitten, und viele seiner Werke waren versehentlich zerstört worden. Das waren offenbar genug Gründe. Neben seinen Zeichnungen hinterließ Lombardi einen Zettelkasten mit über 50.000 Arbeitsnotizen. Interesse bekundet haben daran das National Security Archive in Washington und Transparency International, eine globale Finanzgeschäfte überwachende Institution mit Sitz in Berlin. Schon zu Lebzeiten war der Künstler als Kenner globalwirtschaftlicher Machenschaften gefragt – zuletzt 1999 in Südafrika als Sprecher auf der „9. International Anti-Corruption Conference“.

Inzwischen hat selbst das Whitney Museum eine Arbeit über den BCCI Bankenskandal angekauft, die zum Zeitpunkt von Lombardis Tod im PS1, New Yorks Haus für zeitgenössische Kunst, ausgestellt wurde. Die Aufmerksamkeit für Lombardis Werk hängt mit seiner Auffassung von politischer Kunst zusammen: Er seziert Netzwerke, verantwortliche Personen, Firmen und Interessengruppen. Fakten, Fakten, Fakten – fein säuberlich und verschiedenfarbig ins Schaubild übertragen. Schwarz steht für den allgemeinen Verlauf des Geschehens sowie wirtschaftliche Transaktionen, rote Markierungen für Klagen, Bestechungen und kriminelle Handlungen.

In ein paar Jahren jedoch werden Lombardis ins Bild gesetzte Skandale ohnehin abgehakte Historie sein – so wie das Pentagon jetzt getrost vormals geheime Akten zum Koreakrieg offenlegt.

Zugleich ist Lombardi immer wieder für seine Datenfülle kritisiert worden. Das System der Halbkreise, so die Kritik, sei zu geschlossen, und aus den wortkargen Schaubildern würden sich kaum die einzelnen Fälle rekonstruieren lassen. Aber erklären die Beuys’schen Tafelbilder um Kapitalismus und Eurasien etwas je endgültig? Oder die frühen politischen Werke des Hans Haacke? Im Idealfall schafft Lombardis Kunst beim mündigen Betrachter den Wunsch, sich in die Materie zu vertiefen, selbst wenn es sich um komplizierte Netzwerke globaler wirtschaftlicher Manipulationen handelt. Schließlich gehen auch die Skandale munter weiter.

Mehr Informationen zu Mark Lombardi unter www.pierogi2000.com

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